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Laufberichte

Atem(be)raubend

02.08.09

Es war die Hölle, die am 14. Oktober des Jahres 2000 über Gondo, ein kleines Bergdorf im schweizerischen Wallis, zu Füßen des Simplonpasses an der Grenze zu Italien gelegen, hereinbrach. Nach Unwettern mit heftigen Regenfällen löste sich eine Hangmure. Die Lawine aus Stein, Schlamm und Wasser zerstörte die Hälfte der Häuser, löschte den Ortskern und 13 Menschenleben aus.

Gondo hat als Ort dennoch überlebt. Mit viel Herzblut und Elan wurde der Wiederaufbau betrieben. Ein neues Dorfzentrum wurde gestaltet, beschädigte Gebäude wurden, soweit möglich, renoviert, neue Gebäude errichtet, wo dies nicht möglich war. Die labilen steilen Berghänge wurden gesichert und für das Wasser neue Ablaufmöglichkeiten geschaffen. Genau vier Jahre nach dem Unglück, am 14. Oktober 2004, wurde das Dorf neu eingeweiht. Doch das Trauma sitzt tief. Nur etwa zwei Drittel der seinerzeit evakuierten Bevölkerung wagte die Rückkehr. Die Zahl der ständigen Bewohner liegt unter 100.

Einen wohl einzigartigen Weg, das Trauma dieses Ereignisses zu bewältigen, hat Peter Schnyder beschritten: Nach dem Motto „Gondo soll wieder leben“ initiierte er im Jahr 2002 eine Laufveranstaltung, die, verbunden mit einem Dorffest, wieder so etwas wie Lebensfreude in die geschundene Dorfseele bringen sollte. Und er hatte Erfolg damit. Als „Gondo-Event“ hat diese seitdem alljährlich Anfang August wiederholte Laufveranstaltung mittlerweile eine treue, stetig wachsende Fangemeinde gewonnen. Die Herausforderung lautet: 2 Marathons an 2 Tagen, mit 2 mal 2000 Höhenmetern, 2 Pässen und 2 Schluchten. Weniger geht es darum, eine Strecke von A nach B – konkret: von Gondo nach Ried-Brig und retour – in möglichst kurzer Zeit zu überwinden, als vielmehr, die grandiose Bergwelt, die so schön wie schrecklich sein kann, in einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten intensiv zu erleben und gleichzeitig dem Geschehen von 2000 ein positiv motivierendes Denkmal zu setzen.

Der 2003 gegründete Verein Gondo Event gewährleistet die regelmäßige und professionelle Durchführung der Veranstaltung. Dazu gehört nicht nur all das, was üblicherweise mit der Organisation eines Laufes zusammen hängt, sondern - als weiteres Wesensmerkmal des Gondo Event - auch die Unterbringung und Verpflegung der Läufer vor, während und bei Bedarf nach dem Lauf. Das für 230 CHF buchbare Gesamtpaket beinhaltet neben den Läufen daher zwei Übernachtungen in Gemeinschaftsunterkünften inklusive Frühstück und Abendessen, wobei optional auf die Zusatzleistungen verzichtet und damit 80 CHF  „gespart“ werden können. 

Das Teilnehmerfeld ist nach wie vor überschaubar. Knapp 50 waren es bei der Erstaustragung im Jahre 2002. Mehr als verdoppelt, Tendenz weiter steigend, hat sich seitdem die Zahl derer, die die vollen 84,4 km in Zeiten zwischen 8 und 16,5 Stunden bewältigen. Hinzu kommen die Teilnehmer des 2004 eingeführten Gondo Running und Walking, bei dem man die Bergwelt zwischen Brig und Gondo auf verkürzten 28 km etwas weniger anstrengend („nur“ 1.400 Höhnemeter) erleben darf, sowie eines Kinderlaufs. Es ist vor allem die „Ultra“-Szene, die das Gondo Event als „Familientreffen“ für sich entdeckt hat. Aber auch Spitzenläufer treten hier an. Dazu gehört der Seriensieger der letzten Jahre bei den Männern, der Schweizer Martin Schmid, ebenso wie die Britin Elizabeth „Lizzy“ Hawker, Gewinnerin u.a. des Swiss Alpine K 78 und des Ultra Trail du Mont Blanc. Für Letzteren erhält man beim Gondo-Event übrigens einen Qualifikationspunkt.

Nah ist die Schweiz – doch fern ist Gondo

München liegt zwar schon relativ in Alpennähe. Aber selbst von hier ist Anreise per Auto nach Gondo alles andere als ein Kurztrip und erfordert eine gehörige Portion Sitzfleisch. Über Bregenz bis Chur auf der Autobahn geht es noch flott dahin. Die folgenden vielen Kilometer Landstraße mit ständigem Auf und Ab und Kurven ohne Ende durch Graubünden, Uri und das Wallis ziehen sich aber ordentlich. Doch das Panorama der Schweizer Alpenwelt und die malerischen Dörfer mit ihren dunkel verwitterten Holzhäusern machen das mehr als wett. In Brig muss ich mich entscheiden, mich entweder Huckepack per Zug 20 km weit durch den Simplontunnel bis nach Italien befördern zu lassen oder die über den 2.006 Meter hoch gelegenen Simplonpass führende Nationalstraße N9 zu nehmen. Ich entscheide mich für die Straße und habe so Gelegenheit, noch ganz stressfrei in die Bergwelt einzutauchen, die wir ab morgen per pedes erkunden dürfen. Und das lohnt sich. So begeistert ich von der Landschaft bin, so respekteinflößend sind allerdings die zu überwindenden Höhenmeter.

Vor allem die letzten Kilometer durch die Gondoschlucht sind schon aus der Autofahrerperspektive überaus beeindruckend. Mittendrin, 1.150 Höhenmeter unterhalb des Simplonpasses und direkt an der italienischen Grenze, liegt Gondo. Hohe, senkrechte Bergwände schließen den von der rauschenden Doveria durchschnittenen schmalen Talgrund ein. Die Häuser des Ortes scheinen sich geradezu unter dem übermächtigen Fels zu ducken. Auf klaustrophobe Gemüter mag Gondo fast schon beklemmend wirken, mich fasziniert jedoch diese extreme Lage. An das Unglück von 2000 erinnert auf den ersten Blick nichts, erst auf den zweiten entdecke ich das schlichte Denkmal am Rande des Hauptplatzes, dort wo die Mure die größten Verwüstungen angerichtet hat.

Vor der Touristeninformation am Hauptplatz wartet bereits eine Läuferschlange, um sich die Startunterlagen abzuholen. Die Shirts der Wartenden verraten schon, dass hier nicht die „Normal“-Marathonis an den Start gehen, sondern Leute, die sich im Utra- und Berglauf bzw. mehr noch: in der Kombination aus beidem heimisch fühlen, wobei der Swiss Alpine K78 besonders viele Fans zu haben scheint. Viele kennen sich und begrüßen sich mit großem Hallo. Von marathon4you treffe ich Eberhard Ostertag und freue mich, meinen schreibenden Schweizer Laufkollegen Daniel Steiner kennenzulernen.

Wer sich keine individuelle Unterkunft, sondern „all inclusive“ gebucht hat, hat die Wahl zwischen der Gemeinschaftsunterkunft in der Zivilschutzanlage oder im ehemaligen Schulhaus. Ich entscheide mich für das direkt an der Doveria und dem Start-/Zielgelände gelegene Schulhaus. Das bedeutet: Schlafen in Stockbetten in 20-Personen-Schlafsälen, Dauerrauschen inklusive. Aber das gehört hier einfach dazu.

Ab 18 Uhr treffen sich die Läufer zur Pasta-Party im historischen Stockalperturm, dem imposanten, festungsartigen Wahrzeichen Gondos, der seit 2007 auch das einzige - und im Übrigen überaus stilvoll und modern gestaltete - Hotel des Ortes beherbergt.

Der Name „Stockalper“ prägt wie kein anderer die gesamte Region. Kaspar Jodok von Stockalper war im 17. Jahrhundert das, was man heute einen Wirtschaftsmagnaten nennen würde und über das Wallis hinaus eine der schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Als Großunternehmer betrieb er Export- und Importhandel im großen Stil und organisierte dabei den Verkehr und Transport von Brig über den Simplonpass. Daneben betrieb er Bergwerke, war zeitweise Inhaber des Salzmonopols im Wallis, betätigte sich gleichermaßen aber auch als Bankier, Politiker und bedeutender Bauherr. Zeugnis der Bautätigkeit ist unter anderem der Stockalperturm von Gondo. Einst diente der Turm als Warenlager und Umschlagplatz für die über den Simplonpass transportierten Güter sowie als Herberge und Versorgungsstation für die Führer der Lasttiere, die sogenannten Säumer. Die Laufstrecke von Gondo nach Brig folgt weitgehend dem historischen Pfad („Saumpfad“), auf dem die Säumer seinerzeit über den Simplonpass zogen.

 

Informationen: Gondo Marathon
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