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Laufberichte

Leckermäuler und Kaffeetanten

24.03.07

„Es is so schee entlang am Mee“ - Der Lauf zum Gedenken an die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg

  

Servus aus Würzburg. Wir schauen in das Kalenderblatt des 24. März. Was geschah vor 125 Jahren? Wir erfahren etwas über die Tuberkulose und schauen in die Geschichte der Orte und Städte entlang der Strecke. Und wir blicken in das sportliche Drumherum. Dieses und anderes mehr erfahrt Ihr in den folgenden Zeilen.

 

Wo Würzburg liegt, das brauch ich nicht mehr zu erklären. Ich wähle dieses Mal als Transportmittel die Bahn, da wir Läufer ja vom Ziel per DB zurück nach Würzburg transportiert werden.

 

Am Morgen trete ich gegen 05.30 Uhr aus dem Haus und höre nur einige verstörte Vögel beim Pfeifen. Der Grund ist hierfür das Wetter, denn der Winter hat noch nicht aufgegeben. Es schneit, auf der Straße liegt Schneematsch. Mein Weg führt nach Treuchtlingen, wo ich in die Bahn einsteige. Tags zuvor habe ich mir ein Bayernticket Single gekauft. So reise ich für 19 EUR mit der Bahn an und wieder zurück. Mit Benzinantrieb hätte dies mehr gekostet. Aufgrund der Baumaßnahmen bei der Bahn fahre ich über Nürnberg. Im Regionalexpress nach Würzburg kommt dann Olaf Schmalfuß in das Abteil. Auch er und seine Frau Andrea wollen in die unterfränkische Stadt.

 

Mit Ratschen vergeht schnell die Zeit bis zu unserer Ankunft im Würzburger Hauptbahnhof. Gottseidank hat’s zum Regnen aufgehört. Und so kalt ist es auch nicht mehr. Wir marschieren zum Talavera, dem Festplatz in Würzburg. Hier findet auch jährlich der Würzburger Marathon statt. Nun, leer ist der Platz auch nicht, denn das Frühjahrsvolksfest findet statt und der Veranstalter hat das Bierzelt als Meldestelle gewählt. Die Idee ist gar nicht mal so schlecht, denn wir Läufer können uns bis zum Start warm halten. Im Programmheft zum Volksfest lese ich für heute Abend gute Stimmung mit den Vagabunden. Ja, und wir werden für die nächsten Stunden auch Vagabunden sein auf unserer Reise entlang am Main.

 

Ich hole meine Startnummer, die Anmeldung hat wieder problemlos geklappt, und nehme erste Verbindung mit Günther Hussy auf. Er freut sich auf meine Berichterstattung und wünscht mit viel Glück. Im Festzelt kann noch Kaffee, Tee und Kuchen geordert werden. Leider sind die Preise volksfesttypisch angemessen. Das Gepäck für die Zielorte kann bereits in die bereitstehenden Fahrzeuge abgegeben werden. Olaf Schmalfuß, Alexander von Uleniecki und ich, wir machen ein Spässle und setzen uns in einen Wagen der Geisterbahn. Da ist dann auch das Starttransparent angebracht.

 

Doch nun ein paar Infos zum Lauf: Bisher haben die Teilnehmer ausschließlich für die Veranstaltung gespendet. In diesem Jahr wird erstmals Startgeld verlangt, das von 10 EUR bis 40 EUR geht, je nach Streckenlänge. Die erste Teilstrecke führt bis Margetshöchheim (9 Kilometer), für Einsteiger und Genussläufer ideal. Man kann auch bis Himmelstadt (21 Kilometer), Karlstadt (28 Kilometer) oder bis nach Gemünden (44 Kilometer) rennen. Im Vorfeld hat man mir von der guten Verpflegung berichtet. Die Zeitmessung geschieht manuell.

 

Rund 10 Minuten vor dem Start um 11.00 Uhr verlasse ich das Bierzelt, das mittlerweile von Sportlern belagert wird. Es erfolgt eine kurze Ansprache eines Funktionärs der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe DAHW. Er erinnert an die Zerstörung Würzburgs. Mittlerweile ist auch die amtierende Oberbürgermeisterin Dr. Pia Beckmann eingetroffen. Wenn ihr Terminplan es möglich gemacht hätte, dann wäre sie bestimmt eine Teilstrecke mitgelaufen oder mitgewalkt. Aus einer Presslufttröte gibt sie das Startsignal.

 

Während bei „normalen“ Rennen gleich von Anfang an die Post abgeht, ist es hier ganz anders. Denn wie bei Radrennen ist der erste Kilometer neutralisiert. Wir laufen den ersten Kilometer „janz jemütlich“. Nach einer halben Runde auf der Budenstraße verlassen wir den Festplatz und drehen sofort auf den Mainradweg ein. Ich gebe den Pacemakern ein Signal, dass ich fürs Fotografieren mal kurz nach vorne will. Nach der Freigabe des Rennens setzt sich das Ratschen fort.

 

Auf diesen Wegen oder vielleicht aufgrund der Einsehbarkeit durch die Weinberge zogen die Kriegsflüchtlinge nach der verheerenden Bombardierung Main abwärts. Am 16. März 1945, also in den letzten Kriegswochen, war die unterfränkische Hauptstadt das Ziel der Royal Air Force. In nur 17 Minuten wurde die Innenstadt zu 90 Prozent zerstört. Über 5000 Menschen verloren an diesen und in den Folgetagen ihr Leben.

 

Wir ziehen dagegen in friedlicher Absicht aus der Stadt hinaus. Jenseits des Mains sehen wir ein großes Industriegelände in der Ebene und an den Anhöhen Weinberge. Auf unserer Seite verengt sich das Tal. Bei Kilometer vier finden wir die erste Verpflegung. Ich greife mir einen Becher Tee. Weiter.

 

Dann sehe ich einen Mitläufer. Auf dem Trikot lese ich Karschter Blindschleichen. Na, das ist etwas untertrieben, denn langsam ist er nicht unterwegs. Am Main schiebt sich ein Schiff stromaufwärts Richtung Würzburg. Später sehe ich merkwürdig geschnittene Laubbäume und kann keinen Sinn an diesem Zuschnitt erkennen. Wurscht.

 

Flugs erreichen wir das erste Zwischenziel Margetshöchheim, eine Gemeinde, rund neun Kilometer von Würzburg entfernt. 1330 wurde der Ort „Hochheim sanctae Margarethae“ genannt. Gut 100 Jahre früher erwähnte eine Urkunde die Einwohner von Hochheim links des Mains. Ja, und wenn wir über den Main schauen, dann sehen wir Veitshöchheim, die bekannte Faschingshochburg.

 

Wir finden wieder eine Verpflegungsstelle mit vielen Leckereien. Es gibt Gebäckstückchen in vielen Variationen. Ein Nusshörnchen und ein warmer Tee steht auf meinem Speiseplan. Wem das zu viel ist, der kann natürlich auch eine Banane und ein Isogetränk bekommen. Für 150 Sportler endet hier der Ausflug. Für mich hat der Trip erst gerade begonnen.

 

Wir verlassen die fränkische Ortschaft mit vielen Fachwerkhäusern. Nach zehn Minuten erreichen wir die Schleuse Erlabrunn und den gleichnamigen Ort. Auf den weiterhin geteerten Radwegen dürfen wir mitunter über die Regenpfützen springen. Bei der nächsten Verpflegung in Zellingen unterhalten sich zwei Frauen. Dabei höre ich aus ihrem Gespräch die Worte Schwarzwälder Kirsch. „A Schwarzwälder Kirsch wär net schlecht“, sage ich. Im ersten Moment schauen die beiden etwas spanisch, ein Mann durchschaut meinen Jux und fängt lauthals zu lachen an. „Dann nehm ich halt an Krapfen.“ Der schmeckt auch ganz lecker. Zellingen ist ein Markt mit rund 6500 Einwohnern. Das Wappen zeigt den heiligen Georg zu Ross, wie er einen Drachen tötet.

 

Zwei Kilometer weiter bearbeitet ein Großvater mit seinen beiden Enkeln die mitgebrachten Glocken. Nur wenige Zuschauer sehen wir außerhalb der Orte. Bei Kilometer 19 sehe ich das Ortseingangsschild von Himmelstadt. Ein Polizeifahrzeug wartet vor einer Baustellenampel.

 

Himmelstadt wurde im achten Jahrhundert von Immina gegründet. 840 die erste urkundliche Erwähnung als Immestat. Ja und aufgrund des himmlischen Namens existiert seit 1986 das Weihnachtspostamt Himmelstadt. Für 150 Läufer ist hier, in der Nähe der Pfarrkirche,  Feierabend. 21 Kilometer sind geschafft. Die Verpflegungsstation ist erneut gigantisch. Dieses Mal mag ich ein Stück Hefegebäck probieren. Die Helfer halten uns Getränke und Bananen hin. Weiter.

 

Begonnen wurde mit dieser Veranstaltung 1995 von Erich Kunkel mit fünf Läufern. Doch nach drei weiteren Jahren kam der Benefizgedanke ins Spiel. Gegen eine Spende in beliebiger Höhe durften Interessenten teilnehmen. Seit neun Jahren führt Günther Hussy die Regie. Ob bei der Startnummernausgabe, bei der Verpflegung oder im Ziel, überall hat er seine Hände im Spiel.

 

Linksmainisch laufen wir weiter bis Mühlbach, wo wir den Main überqueren. Oben auf der Brücke stehen ein paar Zuschauer und sprechen uns an. Hier ist wohl die einzige nennenswerte Steigung hoch zum Brückenkopf. Das Ortsschild Karlstadt steht mitten auf der Brücke. Die Einwohner sprechen von ihrer Stadt oft von Karscht oder Karscht am Mee. Auf der linken Mainseite sehen wir oberhalb die Ruine Karlsburg. Vom 6. bis zum 13. Jahrhundert hat hier neben der ungewöhnlich großen Siedlung auch ein Kloster und ein Hafen bestanden.

 

1225 wurde das Städtchen erstmals urkundlich erwähnt. 1304, nach der Zerstörung der Burg und der Siedlung, wurde hier die Stadtbefestigung fertig gestellt. Die Altstadt ist nahezu schachbrettartig angelegt. Durch ein Stadttor führt unsere Strecke auf den Marktplatz. Für die meisten Sportler ist hier dann Schluss. An der Verpflegungsstelle finden wir wieder reichhaltige Auswahl. Links geht’s weiter durch das Maintor und schon haben wir die Altstadt verlassen. Entlang der Stadtmauer zeigt die Markierung. So, und nun sehe ich in weiter Entfernung vor mir einen Sportler und hinter mir nobody.

 

Kilometer 30 führt uns an dem Main heran. Seit geraumer Zeit begleitet mich ein Schiff. Aber es schippert abwärts, ist etwas schneller als ich und so verschwindet es innerhalb drei, vier Kilometer aus meinen Augen. Mittlerweile ist die Temperatur merklich gestiegen. Bei der Schleuse Hambach kann ich auf zwei Gegner auflaufen – und lasse sie zurück, da ich schnell verpflege und weiter renne. Unterhaltung bringen lediglich noch die Züge auf der nebenan verlaufenden Einbahnlinie.

 

Der heutige Tag ist ein Gedenktag. Immer am 24. März ist Welttuberkulosetag. Damit soll die Erinnerung an die Tuberkulose wach gehalten werden. Auch heute fordert diese Krankheit meist in der Dritten Welt jährlich etwa 1,7 Millionen Menschenleben. Die TBC führt die Statistik der tödlichen Infektionskrankheiten an. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch Tröpfcheninfektion und betrifft meist Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Heute vor genau 125 Jahren, also am 24. März 1882, gab Robert Koch die Entdeckung des Tuberkulose-Bakteriums bekannt.

 

Kilometer 39, auf der letzten Mannastation, spricht mich ein Helfer an ob des Aufdrucks auf meinem Shirt. Ja, er war auch mal in Neuburg, beim Barras, in der Tilly-Kaserne. „Da war ich auch,“ entgegne ich. Die Kaserne ist mittlerweile dem Sparzwang zum Opfer gefallen und geschlossen. Den Fünf-Minuten-Schnitt pro Kilometer kann ich immer noch halten.

 

Von hinten kommt noch ein Gegner näher, aber der Abstand vergrößert sich wieder, als ich leicht anziehe. Bei Kilometer 41 oder 42 sehen wir die ersten Ausläufer von Gemünden. Wer will, kann seine Marathonzeit stoppen, denn ein Extraschild macht uns auf die jetzt 42,195 gelaufenen Kilometer aufmerksam.

 

Gemünden hat gut 11000 Einwohner. Die Stadt wurde 1243 erstmals in einem Vertrag zwischen dem Würzburger Bischof Hermann I von Lobdeburg und Gräfin Adelheid von Rieneck erwähnt. Bekannt ist die Stadt durch den Eisenbahnknotenpunkt mit Verbindungen nach Würzburg, Fulda, Aschaffenburg und Bad Kissingen. In den letzten Kriegstagen brachte die alliierte Luftwaffe auch noch viel Zerstörung und Elend. Die Neubaustrecke Würzburg – Hannover überquert hier das Maintal. Auf einer Holzbrücke überqueren wir den Mühlbach. Oberhalb der Altstadt sehen wir die Ruine Scherenburg. Nach ein paar Metern Zickzack, da verliere ich fast die Orientierung, überqueren wir auf der Saalebrücke die Fränkische Saale. Ein paar Meter noch auf der Frankfurter Straße und dann biegen wir rechts ab in den Hofweg, wo ich dann nach drei-, vierhundert Metern das Ziel an der Hauptschule erreiche.

 

Als ich bei den Zeitnehmern meine Zeit erspechte, stelle ich fest, dass die 3.30.39 Stunden doch deutlich schneller sind als der anvisierte Fünf-Minuten-Schnitt. Platz zwölf. Jetzt weiß ich, warum es die letzten 16 Kilometer so einsam war.

 

Nach der ausgiebigen Dusche endet das knapp 44 Kilometer lange Kaffeekränzchen mit einem großen Stück Sahne-Joghurt-Kuchen. Günther Hussy ist am „Werkeln“ bei der Urkundeausgabe, erkundigt sich aber sofort nach meinem Eindruck über die Veranstaltung. Für mich macht er als Koordinator einen absolut ruhigen Eindruck, er und seine Helfer haben alles im Griff. Ein Abendtermin lässt mich dann zeitig aufbrechen.


Teilnehmer:

Gesamtteilnehmer rund 600. Ein deutlicher Rückgang, was vermutlich an der erstmaligen Einführung an der Startgeldzahlung liegt. Oder war das angesagte schlechte Wetter schuld? Die Veranstaltung mit dem gemeinnützigen Zweck verdient aber den Zuspruch wie in den letzten Jahren.

 

Sieger Männer:

1. Dr. Gerhard Lehrieder 2.57.51
2. Georg Braungart 3.11.40
3. Werner Teufel 3.13.56


Sieger Frauen:

1. Monika Fischer 3.29.22
2. Bettina Jauker 3.52.42
3. Sabine Marré 3.56.28

 

Streckenbeschreibung:

Alles Asphaltiert. Kurs führt meist über abgesperrte Radwege.

 

Wettbewerbe:

9, 21, 28 oder 44 Kilometer.

  

Zeitnahme:

Manuell.

 

Auszeichnung:

Urkunde (bei Bestellung am Start) für jeden Finisher. Shirt für die schnellsten Anmelder.

 

Logistik:

Parkmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe. Startnummern ab 08.30 Uhr. Kleidertransport an die Zielorte. Rücktransport mit dem Stadtbus oder mit der DB in eigener Regie.

 

Verpflegung:

Alle fünf Kilometer Verpflegung mit warmen Tee, Iso, Bananen, verschiedene Gebäckstückchen.

 

Zuschauer:

Unterwegs wenig, in den Zielbereichen viele Zuschauer.

 

Spenden:

Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, Konto 9696, Sparkasse Mainfranken Würzburg, BLZ 79050000. Weitere Info: www.dahw.de

 

Fazit:

Familiäre Veranstaltung. Für Leckermäuler und Kaffeetanten dringlichst empfohlen.


 

Informationen: Würzburg Gedächtnislauf
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