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Laufberichte

Nicht zivil – aber zivilisiert

18.11.12

Auch beim fünften Mal in Folge empfinde ich die Strecke abwechslungsreich. Dörfer, Felder, Gehöfte, Weiden, ohne Vorhang wechseln die Kulissen im Verlauf der Aufführung schier im Minutentakt. Eingangs Wängi laufen wir am Alterszentrum vorbei. Ein neuer Trakt wird angebaut, doch am Straßenrand ist keiner der Pensionäre mehr zu sehen, die jeweils große Freude zeigten, dass diese Tradition aufrechterhalten wird. Sie, die noch zur Generation der Aktivdienstleistenden gehörte, hätten vermutlich wenig Verständnis gezeigt für Diskussionen, ob Laufsport mit einer Waffe vereinbar sei.

Ebenfalls in Wängi bleibe ich auf einen kurzen Schwatz bei meinem Arbeitskollegen aus vergangenen Tagen stehen, auch er ein treuer Zaungast am Frauenfelder.

Die Autofahrer müssen sich heute an verschiedenen Stellen gedulden. Einzig bei der Überquerung des Gleises der Frauenfeld-Wil-Bahn müsste ich bei einer Überschneidung meiner Marschtabelle mit dem Fahrplan eine kurze Pause einschalten. Im anschließenden Anstieg kommt mir Richi entgegen. Er kann es nicht lassen. Wenn wegen einer Verletzung schon nicht aktiv vorne dabei, ist er als Betreuer für Kumpels unterwegs und lässt auch mich mit einer Pulle Cola daran teilhaben.

Ich bin vorwiegend alleine unterwegs. Wenn ich mal überhole oder überholt werde, werden ein paar Worte gewechselt. Es ist friedlich und ich habe nicht den Eindruck,  auch nur einer Kriegsgurgel zu begegnen, auch wenn wir alle in militärischem Gewand laufen. Ja, es beschäftigt mich schon, dass ich mich immer wieder mit dem Vorwurf auseinandersetzen muss, mit der Teilnahme an einem Waffenlauf würde ich das Töten indirekt unterstützen, da eine Waffe immer fürs Töten stehe. Nur, was in meiner Packung steckt und oben herausschaut, ist nur der Lauf eines alten Schießprügels. Mit einem Baseballschläger könnte ich viel effektiver jemandem eins über die Rübe ziehen als mit diesem Stück Altmetall.

Es stimmt, dass die Bestimmung eines Gewehrs nicht die ist, Schmuseeinheiten zu verteilen. Und ich stehe dazu, dass ich es auch einsetzen würde, wenn im Rahmen kriegerischer Handlung Leib und Leben meiner Familie und der Gesellschaft, in welcher ich Teil bin, bedroht wären. Da wäre ich nicht anders als eine Bärenmutter, die ihre Jungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln schützt.

Der Waffenlauf ist aus der Aufrechterhaltung dieser Bereitschaft entstanden, zu welcher körperliche Ertüchtigung und Umgang mit der Waffe gehörte. Heute ist er zu einem Brauchtum geworden, wie anderes auch. Diese meine Sicht ist subjektiv, das ist nun mal so. Ich verwehre mich aber gegen den Vorwurf, dass das Mittragen einer symbolischen Waffe nicht mit dem Naturaspekt des Laufens zu vereinbaren sei. Laufen habe mit Natur und Meditation zu tun, höre ich. Und Zen-Jünger höre ich sagen, dass Bogenschießen Meditation sei. Moment mal: waren Pfeil und Bogen nicht Vorläufer der heutigen Waffen?

Mit dem Thema, welches ich unterwegs philosophisch wälze, bin ich so sehr beschäftigt, dass mir die Kilometer sehr kurz vorkommen. So langsam war ich auf dieser Strecke noch nie unterwegs und trotzdem kommt sie mir viel kürzer vor als auch schon.

In der Bahnhofunterführung in Wil sorgen wir bei der Generation Pisa mit Migrationshintergrund für großes Erstaunen. So ein Bild haben sie auf RTL2 noch nie gesehen. Voll krass, wie so alte Typen in stylishem Outfit  einander verfolgen…

Der schmucke Kern von Wils Altstadt liegt auf einem Hügel. Der Anstieg hängt an, doch die Belohnung wartet nach dem Durchschreiten des Stadttors in Form einer Verpflegungsstelle und einem langen Zuschauerspalier. Dass ich mir Zeit zum Fotografieren nehme, sorgt wieder für einige Kommentare.

Die Teilnehmenden des Halbmarathons scharren schon mit den Hufen oder sind auf ihren Aufwärmrunden. Irgendwann werden sie von hinten heranbrausen. Bis es so weit ist, geht es mit der gleichen Abwechslung weiter. Häuser, Felder, Weiden, Landschaft und auch auf dem Rückweg – oder erst recht wegen dem riesigen Teilnehmerfeld auf der halben Strecke – eine erstaunliche Anzahl Zuschauer. Es ist kurzweilig und meine Wade hat sich zwischenzeitlich mit mir arrangiert.

Obwohl wir Waffenläufer in der Masse der an uns vorbeiziehenden Marathonis und Halbmarathonis fast untergehen, werden wir besonders wahrgenommen. Mir fällt auf, dass Leute am Straßenrand teilweise nur dann klatschen, wenn ein Teilnehmer im Tarntuch daherkommt. Auch zahlreiche Überholende zollen mir ausdrücklich ihren Respekt für meine Teilnahme als Waffenläufer.

Bei einem Verpflegungsposten – es dürfte so um Km28 sein – zeigt sich dann, wo der Hammer hängt und wer hier die Kampfsäue sind. Ich werde angerempelt, gehe hinter dem Tisch in Deckung und beobachte von da aus die Schlacht am kalten Buffet. Mit hochroten Köpfen oder kreideweißen Gesichtern, Rotznasen und Schaum vor dem Mund kämpfen die Halbmarathonis um ihre Becher. Wasser spritzt, es wird geflucht, und ich genehmige mir in aller Seelenruhe ein zweites Stück von dem feinen Lebkuchen, den die ganze gehetzte Schar nicht einmal wahrnimmt. So ein Waffenlauf ist schon eine zivilisierte, friedliche Sache…

Mit der ganzen Betriebsamkeit auf der Strecke läppern sich die Kilometer gefühlt sehr schnell zusammen, und je weiter es geht, umso besser läuft es mir. Das Doping des Anfeuerns wirkt. Bei Km38 sind wir zurück auf der bekannten Strecke. Die Kamelbuckel nehme ich dosiert zügig in Angriff, um für die restlichen gut drei Kilometer gerüstet zu sein. Von zwei kleinen Ausnahmen abgesehen geht es da nur noch abwärts, mit mir jedoch aufwärts. Ich habe noch Energie um aufzudrehen, donnere das letzte Stück zum Ziel hinab und werde dort von einem Oberst begrüßt und zum Lauf befragt. Den Termin fürs nächste Jahr habe ich mir schon vorgemerkt. Muss ich noch mehr dazu sagen?

Ja, fast hätte ich es vergessen: Ich hoffe natürlich, dass ich dann wieder ganz fit und ohne Beschwerden unterwegs bin. Ich hätte nichts dagegen, wieder einmal  eine Laufzeit aus dem Vorjahr zu unterbieten. Besonders wenn es den Nebeneffekt hat, dass es dann beim Duschen noch heißes Wasser gibt… 

 

Sieger

 

Waffenlauf 42 km
Männer

1. von Allmen Konrad, Olten                  2:57.10,7 
2. Brennwald Adrian, Aeugst am Albis         2:59.32,9 
3. Bosshard Patrick, Münchwilen TG           3:05.34,9

Frauen

1. Zimmermann Denise, Mels                   3:31.58,0 
2. Cina Barbara, Wölflinswil                 3:35.03,9
3. Siegenthaler Jeannette, Ettenhausen TG    3:50.45,5

190 Finisher

 

Marathon
Männer

1. Hermann Daniel, Münchwilen TG             2:42.58,1 
2. Schenk Felix, Wigoltingen                 2:44.45,8  
3. Hanser Robin, Kreuzlingen                 2:45.42,0

Frauen                  

1. Müller Astrid, Grafstal                   2:53.05,1 
2. Mazenauer Daniela, Oberbözberg            3:22.07,0  
3. Altenbeck Melanie, D-Ditzingen            3:22.22,2 

278 Finisher

 

12
 
 

Informationen: Frauenfelder Marathon
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