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Laufberichte

Mit oder ohne Packung

 

Es geht nochmal kurz bergauf (km10). Wieder liegen große Weideflächen vor uns. Die A1 ist hier "tiefer gelegt", und so können wir sie, ohne Höhenmeter zu machen, überqueren. Dafür erhebt sich dahinter eine größer Berg. Na ja, Berg ist vielleicht übertrieben. Trotzdem ist hier Gehen angesagt. Anita und Rene kommen von hinten. Das Paar ist auf ihrem ersten Marathon unterwegs. Wir überholen uns nun einige Male. Im Ziel treffe ich die stolzen Finisher wieder - meinen Glückwunsch!

Von oben haben wir jetzt einen tollen Blick auf Eschlikon, wo bereits die zweite VP auf uns wartet. Hier gibt es zusätzlich Bananen. Am Ortsausgang auf einer kleinen Weide grasen Lamas. Nicht nur ich bin verblüfft über diese ungewöhnliche Begegnung.

Auf dem Flachstück nach Sirnach überhole ich die ersten Militärmarschierer. Mir wird bewusst, dass hier keine trainierten Marathonläufer unterwegs sind. Unvorstellbar, was diese Strecke für eine Herausforderung, vor allem mit Gepäck, darstellen muss. Bevor wir den Ort erreichen, passieren wir das km 15 Schild. Dann geht es unter der Bahn hindurch und auf der anderen Seite steil bergauf. Hier läuft Eduard zu mir auf. Der Einundsechzig jährige wohnt in Eschlikon und ist mit dem Waffenlauf praktisch aufgewachsen. Er erzählt, dass er früher vor seinen Kindern immer behauptet hatte, dass er den Marathon laufen würde, wenn man keine Waffe mit schleppen müsste. Als dann die Marathondistanz des Waffenlaufes auch für zivile Läufer geöffnet wurde, musste er seinen großen Worten natürlich Taten folgen lassen. Er ist heute zum 9. Mal dabei. Wobei er eindeutig unter erschwerten Bedingungen unterwegs ist: Da ihn hier jeder kennt, muss er ständig Pause machen. Nach ein paar Kilometern ist es soweit und ich ziehe allein weiter.

Der geschotterte Weg verläuft wellig oberhalb des Bahndamms abwechselnd im Wald und dann wieder mit schöner Aussicht. Jetzt sammle ich häufiger Waffenläufer ein. Natürlich versäume ich nicht, jeden gebührend anzufeuern. Mit diesem Gewicht auf dem Rücken würde ich keine 5 km weit kommen. Jedes Mal antworten die Angesprochen freundlich zurück. Sie sind heute die eigentlichen Helden und bekommen das auch zu spüren. Viele Menschen sind an der Strecke, um die Leistung der Aktiven und Reservisten zu würdigen.

Wil ist in Sicht. Mit 18 000 Einwohnern und fast 70 000 Bewohnern im Umland bildet die Stadt den zweitgrößten Ballungsraum der Ostschweiz. Über 500 Jahre residierten die St. Galler Fürstäbte im Hof zu Wil, weshalb die Stadt auch Äbtestadt genannt wird.

Es geht der Straße entlang. Wie überall an der Strecke werden unübersichtliche oder gefährliche Stellen von Helfern, meist Militärangehörigen, bewacht. Sie sorgen dafür, dass die Läufer ungefährdet und ohne anzuhalten vorwärts kommen. Besonders hier in der Stadt sind sie gefordert. Wir erreichen den Bahnhof und müssen durch eine Unterführung. Auf der anderen Seite liegt eine breite Fußgängerzone. Die bereits weihnachtlich geschmückte Ladenzone liegt verlassen da. Ab und zu steht ein einsamer Fan und klatscht. Auf dem kurzen Begegnungsstück frage ich mich, wie weit die Entgegenkommenden wohl voraus sind. Dann geht es rechts durch die kleine Kirchgasse. Scharf links liegt das Schnetztor, durch das wir auf den historischen Marktplatz kommen.

Hier war vor 20 Minuten der Start des Halbmarathons. Mit 400 Nachmeldern und fast 1400 Finishern kann der Lauf in diesem Jahr einen neuen Rekord verzeichnen. Jetzt liegt die VP etwas einsam vor den bunten, perfekt restaurierten Fassaden von Hof, Gerichtshaus und Hauptmannshaus. Ich brauche eine Pause. Da kommen die Bananen gerade recht.

Nach dieser Stärkung geht es den Marktplatz entlang und bergab bis zur Fußgängerzone. Auf der Begegnungsstrecke ein Blick auf die Hinteren, dann geht es scharf rechts. Beim Laufen durch das Wohngebiet merken wir gar nicht, dass wir uns bereits in Bronschofen befinden. Am alten Schulhaus vorbei geht es über die Bahn und dann über eine Wiese. Als die Wiese zu Ende ist, halten wir uns links und ein langes flaches Stück folgt (km 25).

In St Margarethen gibt es viel Publikum und die Stimmung ist super. Eine Frau bietet mir Apfelsaft in einem Becher an. Gerne greife ich zu. Sehe ich vielleicht so fertig aus, wie ich mich fühle? Kurz darauf ist auch schon die VP da. Zu meinem körperlichen Tief kommt jetzt auch wieder ein endlos erscheinendes  flaches Stück. Die kleinste Steigung nutze ich zu einer Gehpause. Wie gerufen kommt da auch die nächste VP in einem kleinen Wäldchen. Es gibt Kuchen! Ich kann mich kaum beruhigen. Jetzt kann nichts  mehr schief gehen. Gut gelaunt feuere ich die Waffenläufer an. Mir fällt eine kleine dunkelhaarige Frau auf. Ihr Rucksack ist fast halb so groß, wie sie selbst. Das sieht von hinten lustig aus, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass hier eine großartige Leistung vollbracht wird.

In einer weiten Schleife kommen wir bergab nach Lommis (km 30). Schon am Ortseingang steht eine Gruppe Frauen und macht mächtig Stimmung. Auch die Helfer an der VP sind gut drauf. Jeder Läufer erhält ein aufmunterndes Wort. An einer Kreuzung müssen wir über die Straße. Hier hat sich der halbe Ort versammelt und feuert uns an. Wie bereits vorher an einigen anderen Stellen, sind Bierbänke aufgebaut; Speisen und Getränke werden angeboten. Die Anwohner machen aus dem Lauf ein privates Fest.

Obwohl es wieder endlos flach über Feldwege geht, ist mein Tief überwunden. Von hinten kommt Claudia aufgelaufen. Wir hatten uns schon im Startbereich getroffen. Sie kommt tatsächlich aus unserem Nachbarort. Zufälle gibt es! Wir sind gerade im netten Plausch, da geht es in Kalthausen rechts um die Ecke. Dahinter ist wieder so eine Privatparty im Gange. Claudia läuft vorbei. Ich bin gerade so gut drauf, dass ich die Umstehenden anspreche. Einer von ihnen lädt mich spontan zu einem Bier ein: "Man muss die Läufer ja unterstützen". Ich höre mich nicht nein sagen. Es wird richtig nett und ich muss mich zwingen, weiterzulaufen. Hinter der nächsten Kurve kommt schon wieder eine VP. Aus naheliegenden Gründen lasse ich diese aus.

Markus, Jahrgang 47, mit Rang Hauptmann, ist gleichmäßig im Ultraschlappschritt unterwegs. Laut dem Schild in seinem Gewehrlauf ist er bereits zum 40. Mal dabei. Respektvoll spreche ich ihn an. Eine humorvolle Antwort kommt direkt zurück. Auf dem kurzen Stück gemeinsamen Weges spüre ich seine Begeisterung und Frische, die mich die nächsten Kilometer weiter trägt. In einem Haus sehe ich eine Frau, die hinter dem Fenster steht und uns beobachtet. Im Vorbeilaufen höre ich, wie sie uns lautstark anfeuert. Markus ist nicht um eine launige Antwort verlegen.

In Stettfurt, bei km 35, ist ausnahmsweise nichts los. Nur in einem Garten wird gefeiert. Als ich den Fotoapparat zücke, gibt es sofort ein lautes Hallo und die Feiernden besinnen sich aufs Anfeuern. Die Helfer an der VP sind dagegen immer für einen Motivationsschub gut. Die Strecke ist weitgehend flach. Wenn man könnte, würde man einiges an Zeit gut machen; ich kann nicht. Mir geht es gut, aber mehr als lockeres Joggen ist nicht drin. Da sehe ich von Ferne ein gelbes Kilometerschild. Die gelaufenen Kilometer werden alle 5 km angegeben. Bin ich nicht schon bei km 35 vorbei? Im Näherkommen erkenne km 36. Oh, schön: jeder Kilometer wird nun angegeben. Das motiviert mich zusätzlich.

Wir laufen auf ein kleines Wäldchen zu. Schon von weitem werde ich angefeuert. Warum nennen die Leute mich Manuela? Schade, die meinen gar nicht mich. Vom Applaus beflügelt, kommt eine Läuferin von hinten angeflogen. Kurz vor dem Fanclub bleibe ich stehen und lasse ihr den Vortritt. Manuela ist so beschwingt, dass ich sie auf den restlichen Kilometern nicht mehr einholen kann. Ich gönne es ihr.

Hinter km 37 geht es nochmal bergauf. Oben verlassen wir den Feldweg und gelangen auf die Straße. Ich erkenne die Strecke vom Beginn des Laufs. Bis km 38 müssen wir noch einmal bergauf. An der letzten VP genieße ich einen letzten Schluck Rivella und ein Stück Schweizer Schokolade. Dann folgt der Endspurt. Zuerst steil bergab, dann die letzte Steigung, Frauenfeld ist in Sicht. Viele Spaziergänger nutzen die gesperrte Straße für einen kleinen Rundgang und feuern mich an.

Km 39. An der Kreuzung geht es dann nach rechts. Über Nebenstraßen erreichen wir das kleine Wäldchen Pfaffeholz. Den schmalen Schotterweg bringen wir schnell hinter uns. Km 40. Nun geht es endgültig bergab. Die Straßen sind wie ausgestorben als ich mich mal rechts herum, mal links herum dem Ziel nähere. Km 41. Wie viel Kurven kommen denn noch? Jetzt höre ich den Sprecher. Gleichzeitig verliere ich kurz vor dem Ziel die Orientierung. Die Straße ist großzügig abgesperrt. Eigentlich kann es nur links gehen. Dann folgt aber nochmal eine Abzweigung nach rechts. Endlich ist das erste Zieltor in Sicht. Nochmal links und der Zielkorridor liegt vor mir. Der Sprecher sagt mich an. Ich bin im Ziel.

Es wird heißer Pfefferminztee angeboten. In der Großen Halle gibt es mein geliebtes Rivella. Gegenüber kann jeder Finisher zwischen einer Medaillennadel, 10 Franken oder einem Glas Honig auswählen. Ich suche Norbert und finde ihn bei der Massage. Hier ist noch reger Betrieb. Professionell wird die Läufermuskulatur bearbeitet. In der Halle gibt für kleines Geld ein Läuferessen (Suppe, glacierter Schweinsbraten, Kartoffelstock, Erbsli und Rüebli).

Wir haben wieder einen schönen Lauf mehr in unserem Repertoire. Ich habe die Schweizer als begeistertes Volk erlebt, das auf Tradition großen Wert legt, ohne sich aber der Moderne zu verschließen. Alt und Jung trifft sich, um gemeinsam die Läufer zu feiern. Die Organisation ist perfekt, das Ambiente speziell, die Verpflegung gut und die Strecke kurzweilig. Ich bin sicher, um diesen Lauf muss man sich auch in Zukunft keine Sorgen machen.

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Informationen: Frauenfelder Marathon
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