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Laufberichte

Scheißwetter, aber glückliche Gesichter

28.11.10
Autor: Klaus Duwe

Kaum haben wir den Park verlassen, geht es erneut durch eine Unterführung. Der Verrückte mit seiner Vuvuzela ist auch schon da. Nichts wie weg. Über die Ponte delle Vittoria wechseln wir zum anderen Arnoufer und folgen dem Fluss bis es plötzlich rechts in eine schmale Gasse geht. Eine Gruppe Läufer, die unermüdlich einige Freunde im Rollstuhl über die Strecke schieben, ist auf gleicher Höhe. Ich beobachte und bewundere ihren Einsatz schon eine ganze Weile.  Es sind ausnahmslos sehr gute Läufer, die sich diese Strapaze antun, den behinderten Freunden damit aber eine Riesenfreude machen. Natürlich werden sie überall begeistert beklatscht.

Gleich sind wir an der Porta Romana  (km 18), die einst den südlichen Zugang zur Stadt über die aus Rom kommende Via Cassia sicherte. Wir wenden und laufen auf einer schmalen Parallelstraße zurück in Richtung Arno. Rechts ist ein Zugang zum Giardino Boboli, berühmt für seine Skulpturen. Der Garten gehört zum Palazzo Pitti (km 19), 1458 ursprünglich für den Kaufmann Luca Pitti erbaut. Die Pittis wurden einer Verschwörung überführt und fast hundert Jahre später kaufte die Gattin von Cosimo I. de‘ Medici den Palast, der zur Residenz der toskanischen Herzöge ausgebaut wurde. Später war er Residenz des Königs von Italien.

Die Ponte Vecchio (Alte Brücke) ist die älteste Brücke über den Arno. Sie stellt die Verbindung vom Palazzo Pitti zum Palazzo Vecchio dar. Seit 1345 gibt es die Läden auf der Brücke. Ursprünglich waren hier Schlachter und Gerber ansässig, bis deren „geruchsintensives“ Gewerbe den hohen Herren zu viel wurde und sie statt derer Goldschmiede ansiedelten, die noch heute ausschließlich die Geschäfte auf der Brücke betreiben.

Hierher kommen wir später ein zweites Mal. Dann haben wir das Vergnügen und laufen über die Brücke. Jetzt biegen wir zuvor rechts ab zum Arnoufer. Aus einer Bäckerei riecht es verlockend nach Focaccia, einer uralten Brotspezialität, aus der die Pizza entstanden sein soll. Zu einem Focaccine würde ich jetzt nicht nein sagen. Aber gleich kommt die nächste Verpflegungsstelle und ich greife zu Banane und Iso. Tee und Wasser. Später gibt es auch Gebäck, Riegel und Gel.  Meckern kann man da nicht.

Wieder geht es über die Ponte Niccolo, diesmal laufen wir aber rechts in östlicher Richtung weiter. Mein Gemütszustand hat jetzt genau den eingangs geschilderten Punkt erreicht. Meine Goretex-Latschen halten zwar noch immer von außen das Wasser ab, nass sind meine Füße über die Socken aber inzwischen trotzdem. Meine Hosen sind so schwer, dass ich fürchte, sie zu verlieren. Viele steigen hier aus. Es sind nur ein paar hundert Meter zu den LKW’s mit den Kleiderbeuteln.

Mir ist kalt und mir reicht’s. Ich denke echt daran, über die Straße ins Hotel zu laufen. Aber genau dort steht Sabine mit der Interair-Fahne und feuert mich an. Die Blamage erspare ich mir dann doch. Also laufe ich weiter. Wenige Meter weiter wird die Zwischenzeit für die Halbdistanz genommen. Ich traue meinen Augen nicht. Ich habe mich schon gewundert, als mich nacheinander die 4:30- und 4:45-Pacer überholt haben. Ich bin noch langsamer geworden. Irgendwann überrollt mich auch noch Ilaria mit ihrer 5:00-Stunden-Gruppe. Ich drehe mich schon mal um. Nichts zu sehen.

Die Disco Saschau hat Fenster und Türen geöffnet und die Regler voll aufgedreht. Von vorne kommt Wind. Ich habe noch immer den Plastiksack übergestülpt, der wie ein Bremsfallschirm wirkt. Ist das die Erklärung für meine schlechte Zeit? Es regnet immer noch. Trotzdem reiße ich mir das Ding jetzt vom Leib und behalte nur noch so eine Art Lendenschurz an, damit wenigstens mein am Gürtel getragenes Hightec-Equipment noch einigermaßen geschützt ist. Ein Italiener fragt mich, ob er von mir ein Foto machen soll. Lieber nicht.

Wir ändern die Laufrichtung, Nordwest zeigt der Kompass. Direkt an der Strecke steht das Auto vom Gardasee-Marathon. „Stephanooooo“, rufe ich laut. Der Kerl ist nicht zu sehen. Wahrscheinlich sitzt er irgendwo im Warmen bei einem Espresso. Also weiter. Die Musikkapelle hat sich mit etlichen Zuschauern unter der Brücke (km 25) postiert und sorgt für Stimmung. Auf der Brücke kommen uns die Läufer mit ungefähr 6 km Vorsprung entgegen. Beneidenswert.

Die Gegend ist jetzt nicht so prickelnd. Ich kann meine Kamera stecken lassen, komme aber trotzdem nicht so recht vorwärts. Irgendwann passiert es dann doch, hinter mir höre ich Trillerpfeifen und lautes Rufen. Ilaria ist es mit ihren 5:00-Stunden-Läufern. Sie hat mich schon entdeckt, ich brauche mich nicht mehr verstecken. Jedem erzählt sie jetzt, wer ich bin, was ich mache und überhaupt. „Grande“, lobt mich jeder und klopft mir auf die Schulter.

Zwei Kilometer weiter habe ich wieder einen kleinen Vorsprung herausgelaufen. Wir sind am Campo di Marte (km 27), wo die Marathonmesse ist. Nach Rom ist die Messe in Florenz bestimmt die größte in Italien. Am Samstag war mächtig was los. In nur gut 15 Minuten wäre ich im Hotel. Wieder kommt mir da so eine Idee …

Aber ich laufe weiter. Es geht Richtung Stadion. Ein paar Mädels feuern die Marathonis zu Disco-Musik an. Wir umrunden das Stadio Comunale (km 29), wo für den AC Florenz einst Effenberg und Luca Toni kickten. Kurz danach gibt es wieder von dieser tollen Vollverpflegung, dann muss die wegen ihrer Steigung berüchtigte Brücke über die Gleisanlangen genommen werden. Das macht warm.

Auf den letzten 8 Kilometer vergisst man dann den Regen, die Kälte, den Wind, die Schmerzen und den Frust. Florenz zeigt, was es hat. Über holprige Steinplatten erreicht man die Galleria dell Accademia (Kunstakademie), in der man  Michelangelos Original-David bewundern kann.

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Informationen: Firenze Marathon
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