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Laufberichte

Essen, schauen, laufen

26.11.06
Autor: Klaus Duwe

Da wird der Marathon fast zur Nebensache

 

Die Veranstalter wissen selbst nicht so recht, weshalb ihr Marathon plötzlich einen solchen Zulauf hat. Fast 8.000 haben sich dieses Jahr angemeldet, nach etwas mehr als 6.000 im vergangenen Jahr wahrlich eine stolze Steigerung. Mehr will man künftig auch gar nicht zulassen.

 

2.800 Teilnehmer kommen aus dem Ausland (54 Nationen), davon 687 aus den USA, die damit das größte Kontingent stellen. Allerdings sind davon alleine 475 von einer privaten Aids-Hilfsorganisation aus Chicago. 678 Läuferinnen und Läufer kommen aus Frankreich, 333 aus Deutschland und 267 aus Österreich. Aus der Schweiz sind 50 Teilnehmer in die toskanische Hauptstadt angereist.

 

Auf den Hügeln am Ufer des Arno siedelten bereits im achten Jahrhundert v. Chr. die Etrusker, bevor die Römer im ersten Jahrhundert v. Chr. mit dem Bau der Stadt Florentina (die Blumige) begannen. Der Aufstieg von Florenz im Mittelalter zur europäischen Kunst-, Kultur- Wissenschafts- und Wirtschaftsmetropole ist eng mit dem Aufstieg der Medicis verbunden, jener Kaufmannsfamilie, die es verstand, mit Geschick und Intrigen zur politischen Großmacht aufzusteigen. Sie förderten die Künste und die Wissenschaften und so siedelten sich in Florenz viele Künstler und Gelehrte an, unter ihnen Donatello, Botticelli, Michelangelo, Leonardo da Vinci und Galileo Galelei.

 

Heute hat Florenz ungefähr 370.000 Einwohner. Das Aufzählen der Sehenswürdigkeiten sprengt jeden Rahmen und ist immer unvollständig. Als die Altstadt 1982 zum UNESCO-Weltkulturerbe wurde, hieß es in dem Antrag, dass „eine Rechtfertigung lächerlich sei, da man auf die weltgrößte Ansammlung bekannter Kunstwerke verweisen könne.“

 

Der Hauptbahnhof von Florenz trägt den klangvollen Namen „Stazione Centrale Santa Maria Novella“, so genannt nach der gegenüberliegenden, 1470 vollendeten Kirche. Von hier nimmt man entweder den kleinen Bus der Linie 10 oder man fährt mit dem Zug zum Bahnhof Campo di Marte, wo gleich gegenüber bei den Sportanlagen auf der Marathon-Expo nach Vorlage der Anmeldebestätigung und des Ausweises die Startunterlagen (mit integriertem Leihchip) abgeholt werden können. Dieses Jahr gibt es für alle ein edles Langarmshirt, dessen Wert ungefähr der Startgebühr entspricht (50 - 65 € für Ausländer).

 

Die Messe ist nach Rom die größte, die ich bisher in Italien gesehen habe. Veranstalter, Ausrüster und Sponsoren präsentieren sich. Obwohl man für 3,50 Euro köstliche Nudelgerichte bekommt, zieht es mich in die Stadt. Marathonmessen habe ich fast jede Woche, Florenz höchstens einmal im Jahr.

 

Nicht ganz zufällig lande ich im Mercato Centrale. Während es draußen auf der Via dell’ Ariento aus zig Verkaufsständen nach Leder riecht, duftet es in der 1784 errichteten Markthalle nach Käse und Schinken. Alles, was irgendwie zur italienischen Küche gehört, findet man hier und vieles kann man probieren. Die kleinen Ristoranti sind zur Mittagszeit meist überfüllt, aber die Wartezeit lohnt sich, das Essen ist phantastisch.

 

Am Abend tun mir vom vielen Gehen so die Beine weh, dass ich für den morgigen Lauf kein sehr gutes Gefühl habe. Außerdem habe ich schon wieder Hunger. Nicht weit vom Dom entfernt in der Via Perconi befindet sich das Self-Service Restaurant Leonardo im ersten Stock eines Geschäftshauses. Genau das Richtige, denke ich und schon stehe ich einem schmucklosen Raum mit schlichten Holzbänken und –tischen. Zwei ältere Herren tun hier Dienst, einer gibt das Essen aus, einer steht an der Kasse. Drei Mann arbeiten in der Küche.

 

Alles sieht sehr appetitlich aus und es bleibt deshalb auch nicht bei der Lasagne, ich nehme noch gebackene Auberginen und frittierte Artischocken. Alles schmeckt so lecker, dass der Koch jederzeit in einem Lokal arbeiten könnte, wo das alles ein Vielfaches kostet. Die Preise sind nämlich sensationell. Zusammen mit einer Flasche Wasser und einem Espresso nehmen die hier noch nicht einmal 8 Euro.

 

In einem Stadthotel in Bahnhofsnähe sucht man ein ruhiges Zimmer meist vergeblich. Auch ich habe da kein Glück und werde schon früh vom Straßenlärm geweckt. Nicht schlimm, 10 Minuten später würde mir mein Handy sowieso das Ende der Schlafenszeit verkünden. Viel wichtiger ist mir, dass ich ein Frühstück bekomme und dann zu Fuß den Startplatz erreiche.

 

Tatsächlich bin ich im Nu am Arnoufer und pilgere mit vielen anderen Läuferinnen und Läufern in Richtung Lungarno della Zecca Vecchia. Vielleicht ist es der einzige Nachteil der ganzen Veranstaltung, dass man hier seinen Kleiderbeutel abgeben muss, bevor man dann mit dem Shuttlebus oder in gut 15 Minuten zu Fuß hinauf zur Piazzale Michelangelo zum Start kommt. Gegen Kälte oder Nässe hat man allerdings mit den Startunterlagen eine Plastikfolie bekommen. Einige laufen rum wie Vogelscheuchen, weil sie alte Sachen tragen und diese später am Start zurück lassen. Die meisten haben aber außer ihren Laufsachen nichts an, weil die Temperaturen trotz ziemlicher Bewölkung ganz angenehm sind.

 

Von der Piazzale Michelangelo hat man einen herrlichen Blick auf Florenz, den Dom die vielen Türme und die Arnobrücken, von denen die Ponte Vecchio die berühmteste ist. Treffpunkt ist der David, eine bronzene Kopie der weltberühmten, 4,34 Meter hohen Statue von Michelangelo, die er in 4 Jahren aus einem einzigen Marmorblock gemeißelt hat. Das Original steht seit 1874 in der Kunstakademie.

 

Ganz in der Nähe findet man eine der schönsten Kirchen Italiens, der Legende nach genau an der Stelle, wo der heilige Minias starb, nachdem er von Kaiser Decius enthauptet wurde und mit seinem Kopf unter dem Arm diesen Hügel hinauf lief. Nach ihm heißt die Kirche San Miniato al Monte, 1013 wurde mit dem Bau begonnen.

 

Der Mann am Mikrofon redet ununterbrochen. Sein Redeschwall, die Blasmusik, die RAI-Hubschrauber und das Stimmengewirr tausender Läuferinnen und Läufer bilden die Geräuschkulisse auf dem immer voller werdenden Platz. Die Startblöcke sind farblich gekennzeichnet, der Zugang wird kontrolliert. Es herrscht Ordnung in Italien.

 

Dann wird die Nationalhymne gespielt und kurz nach 9.00 Uhr geht das Rennen los. Viele Zuschauer sorgen für eine prächtige Stimmung. Ganz leicht steigt die Straße an, dann geht es in einigen Kehren abwärts. Die Marathonis drücken mächtig aufs Tempo, kaum einer hat Zeit, die herrlichen Ausblicke auf die Stadt zu genießen.

 

Im dichten Feld müht sich ein behinderter Sportler mit seinen Krücken ab. Jeder, der ihn überholt, bringt seinen Respekt zum Ausdruck, klatscht Beifall oder zeigt den erhobenen Daumen. Ich muss an meinen schwedischen Freund KG denken, der schon mal von Veranstaltern abgewiesen wird, weil er mit seinen Krücken andere Läufer behindern würde.

 

Ab km 5 in der Via Pisana führt die Strecke dann eben durch Wohngebiete. Bei km 7 laufen wir auf der Parallelstraße zurück und erreichen auf der Via della Fonderia das Arnoufer. Zuschauer sind wenige an der Straße, meist sind es die mitgereisten Angehörigen der Läuferinnen und Läufer, die hier für Stimmung an der Strecke sorgen.

 

Wir verlassen den Fluss nach rechts und kommen in eine schmale Altstadtgasse. Einen Kilometer weiter sind wir bei km 11 beim Palazzo Pitti (erbaut um 1440) und können zwar die mächtige, festungsartige Hauptfassade bestaunen, aber ein Blick auf den eindrucksvollen Boboli-Garten mir seinen vielen Skulpturen bleibt uns verwehrt. Im Palazzo selbst gibt es öffentlich zugängliche Gemäldesammlungen, darunter die Galleria Palatina der Medici mit Werken von Tizian, Raffael und Rubens.

 

Wir laufen direkt auf die Ponte Vecchio („Alte Brücke“, km 11,5) zu und erleben einen ersten stimmungsmäßigen Höhenpunkt. Vor der Brücke steht nämlich eine begeisterte Menschenmenge und zeigt den Marathonis, was italienisches Temperament ist.

 

Als 1333 ein Hochwasser die damalige Holzbrücke zerstörte, begann man mit dem Bau der jetzigen Steinbrücke. Die Ladenzeilen rechts und links der Brücke werden nur in der Mitte durch drei Arkadenbögen unterbrochen, die einen Blick auf den Arno ermöglichen. Ursprünglich gingen hier Metzger und Gerber ihrem Gewerbe nach. Die Schlachter entsorgten die Abfälle im Fluss und die Gerber wuschen die mit Pferdeurin behandelten Stoffe. Das hat den Herren dann allmählich derart gestunken, dass sie 1593 ein Gesetz erließen, nachdem sich nur noch Goldschmiede in den Geschäften auf der Ponte Vecchio niederlassen durften. So ist es noch heute.

 

Vor der Brücke laufen wir rechts auf der Via die Bardi und queren den Arno über die Ponte Niccolo (km 13). Die Blaskapelle, die schon beim Start ihren Auftritt hatte, setzt jetzt hier ihr Konzert fort. Durch die Pinienallee des Lungaro del Tempio laufen wir nun am anderen Arnoufer entlang. Bei km 15 kommt die dritte Getränkestelle, außer Wasser, Iso und Tee gibt es jetzt auch Bananen, Zitronen und Gebäck.

 

Nur einen Kilometer weiter machen wir praktisch eine Wende links in die Via Aretina und laufen zurück in westlicher Richtung. Bei km 18 erreichen wir die lang gezogenen Gleisanlagen des Bahnhofs Campo di Marte. Die nächsten Kilometer wird für das Auge wenig Attraktives geboten und ich gebe etwas Gas. Nach einer Rechtswende befinden wir uns nun am Bahnhof mit dem gegenüberliegenden Campo die Marte, wo die Marathon-Expo war. Hier ist die Halbdistanz erreicht und vielen reicht das. Sie hatten gar nicht vor, den ganzen Marathon zu laufen und steigen hier aus.

 

Bei unserem Besichtungslauf durch die Sportanlagen kommen wir auch zum knapp 30.000 Zuschauer fassenden Stadio Comunale Artemio Franchi, wo der Serie-A-Verein ACF Fiorentina kickt.

 

Auf schmalen, teilweise gepflasterten oder mit Platten belegten Nebenstraßen führt die Strecke jetzt Richtung Centro. Es ist genau 12.00 Uhr und die Glocken läuten, als ich aus einer schmalen Gasse auf den Dom Santa Maria del Fiore (km 28) zulaufe.

 

Mit dem Bau des Doms wurde 1294 begonnen. Als Meisterleistung der damaligen Zeit gilt die Kuppel (1420 – 1434) des Architekten Filippo Brunelleschi. Mit 107 Metern Höhe und 45 Metern Durchmesser ist sie größer als die des Pantheons in Rom.

 

Giotto di Bondone war schon 68 Jahre alt, als er mit dem Bau des Campanile, dem freistehenden Glockenturm, beauftragt wurde. 115 Meter sollte er hoch werden. Als Giotto 1337 starb, war gerade das erste Stockwerk fertig. Mit einigen Änderungen wurde der Turm 1359 fertig gestellt – aber “nur” 85 Meter hoch.

 

Die markante Fassade des Doms aus weißem und grünem Marmor wurde erst 1887 vollendet, nachdem man 1588 die ursprüngliche Fassade abgerissen hatte. Wegen immer wieder einmal knapper Mittel zögerte sich die Neugestaltung über Jahrhunderte hin. Heute würde man einfach Schulden machen.

 

Die abgesperrte Laufstrecke ist rechts und links dicht von begeisterten Zuschauern gesäumt. Bis zur Piazza della Repubblica reißt der Jubel nicht ab. Die Sonne strahlt vom mittlerweile wolkenlosen Himmel und manchen Läufer hört man schon wieder unter der “Hitze” stöhnen. Nicht so die Gäste in den gut besuchten Straßencafés. In dicke Jacken, Schals und Mützen gepackt genießen sie ihren Espresso oder Cappuccino. Aber die Italiener kleiden sich sowieso nicht nach dem Wetter sondern nach der Mode und nach dem Kalender. Deshalb sind jetzt eben die Jacken dick und die Röcke kurz, verdammt kurz, wenn ich richtig gesehen habe.

 

Durch das große Tor kommen wir auf die Via Strozzi und nach einem kurzen Begegnungsstück bei km 30 geht es ins Grüne in den Parco delle Cascine. Früher weideten hier Rinder (Cascina heißt Viehstall), aber schon seit Mitte des 15. Jahrhunderts ist es eine Parkanlage, die der Öffentlichkeit nur zu bestimmten Anlässen und am Himmelfahrtstag zugänglich war. Heute ist das natürlich kein Thema mehr. Es gibt einen großen Vergnügungspark und auf den Wiesen sonnen sich die Menschen, auf den zahlreichen Sportplätzen wird gekickt, Tennis gespielt oder hoch zu Ross die Runden gedreht. Viele Einheimische machen hier ihr Sonntagsläufchen  und schauen mal mit Unverständnis und mal mit Bewunderung auf die, die heute nummeriert durch den Park hetzen oder ihre Körner schon verpulvert haben und  nur noch als Geher unterwegs sind.

 

34 Kilometer sind geschafft, als es links zum Fluss und dann zurück Richtung Centro geht. Nach gut 4 Kilometern sind wir auf der Via Vespucci und der Via Acciaiuolo, den sonst stark befahrenen und heute gesperrten Verkehrsstraßen entlang des Arno. Wieder kommen wir zur Ponte Vecchio, diesmal von der anderen Flussseite. Links geht es auf der schmalen gepflasterten Straße weiter und gleich erreichen wir die Piazza Signoria mit dem Palazzo Vecchio, rechts davon sehen wir die Uffizien und links den Neptunbrunnen aus dem 16. Jahrhundert.

 

Der Palazzo Vecchio hieß ursprünglich Signoria und war nach seiner Fertigstellung 1314 Regierungssitz (Rathaus), bis die Verwaltung in die Uffizien (Ämter) umzog. Heute befindet sich dort eine der bedeutendsten Kunstgalerien der Welt.

 

Noch einmal kommen wir zum Dom (km 40) und zu einer kurzen Wendepunktstrecke auf die Lungarno della Zecca Vecchia, wo wir heute Morgen unsere Kleiderbeutel deponiert haben. Der letzte Kilometer geht durch schmale schattige Gassen zum Ziel auf der Piazza Santa Croce. Die gleichnamige Kirche lassen wir hinter uns und laufen viel bejubelt ins Ziel.

 

Die Zielfotos mit der Franziskanerkirche (13. und 14. Jahrhundert), in der sich die Grabmäler unter anderem von Michelangelo und Galilei befinden, gehören zu meinen schönsten Lauferinnerungen überhaupt.

 

Streckenbeschreibung

Sehr schöner Rundkurs, der seine Höhepunkte zweifellos mit dem Start auf den Piazzale Michelangelo und auf den Plätzen mit den weltbekannten Sehenswürdigkeiten der toskanischen Hauptstadt hat.

 

Logistik

Der Startplatz kann mit Shuttlebussen oder kurzem Fußmarsch erreicht werden. Zuvor werden die Kleiderbeutel in Bussen deponiert. Vom Bahnhof ist man in ca. 20 Minuten an der Bushaltestelle.

 

Zeitnahme

Leihchip

 

Auszeichnung/Starterpaket

Medaille, Urkunde aus dem Internet, sehr schönes, warmes Funktionsshirt

 

Verpflegung

Alle 5 km Getränkestationen, ab km 15 mit Verpflegung (Bananen und Gebäck)

 

Zuschauer

Beim Start und in der Innenstadt sehr viele Zuschauer, sonst sind sie eher selten

 

Informationen: Firenze Marathon
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