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Laufberichte

Hinten und doch mitten drin

25.06.11
Autor: Klaus Duwe

Zwischen Schwaben und Badenern gibt es ja seit Urzeiten eine Rivalität, deren Ursachen mir aber niemand nennen kann. Hauptsache, man  hält sie wach. Manche sagen, es läge daran, dass man im Badischen mehr katholisch und im Schwäbischen mehr evangelisch ist. Kann aber nicht stimmen, weil es in Baden auch protestantische Herrscher und in Württemberg auch katholische gab. Jedenfalls wurden die beiden Länder nach einer Abstimmung 1951 zum Bundesland Baden-Württemberg. In Baden war man dagegen und blieb es auch. 1970 wurde daraufhin in Baden noch einmal gevotet, der  Zusammenschluss aber bestätigt. Unter dem Slogan: „Wir können alles außer Hochdeutsch“ sind jetzt beide „Stämme“ erstmals friedlich vereint. 

Ein kurzer steiler Anstieg bringt uns auf eine Anhöhe, wo die Wege wieder flach und gut zu laufen sind. Manchmal überholt mich ein Ultra, manche lassen sich von einem Biker begleiten. Das ist ausdrücklich erlaubt, muss aber angemeldet werden. Stören tut das überhaupt nicht.  Die Strecke ist mit rot/weißen Flatterbändern und Markierungen auf den Wegen gut gekennzeichnet.  Manchmal entdecke ich auf den Wegen auch eine Kilometer-Angabe. Das könnte man etwas optimieren, indem man an den Verpflegungsstellen  Hinweistafeln aufstellt mit Kilometer- und Ortsangaben. Sonst gibt es nichts zu meckern. Die Verpflegung ist super. Kuchen, Obst, Salziges und Süßes, Tee und Wasser, Iso, Malzbier – alles da. Und die Leute sind alle begeistert bei der Sache.

Es ist schon ziemlich dunkel, als ich in Langenalb (km 17) die Verpflegungs- und Wechselstelle erreiche. Ich muss noch einmal auf die Baden-Schwaben-Rivalität zu sprechen kommen, denn Langenalb war mal badisch, wurde dann aber nach Straubenhardt eingemeindet, das schwäbisch ist.  Hier in der Gegend spielte sich übrigens auch die Geschichte ab, die ich eingangs erzählte – die von dem jungen Chef.

Ohne Licht geht jetzt nichts mehr. Zusätzlich ist es nicht schlecht, wenn man von seinem Schlappschritt etwas abkommt und die Füße  ein wenig anhebt. Bis auf eine kurze trailige Passage sind die Wege zwar sehr gut zu laufen, aber aufpassen muss man schon. Schnell stolpert man über eine Wurzel oder einen Stein und das ist zumindest schmerzhaft.

Außer mit einer genialen Beleuchtung mit Nah- und Fernlicht bin ich ausnahmsweise auch mit einem Handy ausgestattet. Nicht dass ich erreichbar sein müsste, oder telefonieren wollte. Ich habe mein ganzes Musikarchiv  auf dem Ding abgespeichert und mit einem Tastendruck hab ich meinen Lieblingssender im Ohr. Aber mir ist nicht danach. Ich genieße die Ruhe. Die Vögel sind längst verstummt, kein Blatt bewegt sich. Was Du hörst, bist Du. Deine Schritte, Dein Atem.  Ich denke an tausend Dinge, habe hundert Ideen, zwei begeistern mich. Warum fällt mir das jetzt ein, warum nicht gestern am Schreibtisch und nicht vor dem Computer?

Es geht kilometerweise abwärts, ich lasse es rennen, immer alleine mit der Nacht und meinen Gedanken.  Mir fällt auf, dass fast jeder Läufer, der mich überholt, ein „Hallo“ übrig hat. Einer fügt noch  „Staffel“ an, damit ich Bescheid weiß, dass er kein Konkurrent ist.  Ich selber habe noch niemanden überholt. Wo sind die alle? Ausgestiegen?

In Marxzell (km 21) hat der Downhill-Run ein Ende. Bevor ich die Hauptstraße überquere, schaue ich noch in die Fenster des sehenswerten privaten Automuseums, das in einem ehemaligen Pfaffenroter Sägewerk betrieben wird. Nach einer Erfrischung bei der Marxzeller Mühle geht es auf den Graf-Rhena-Weg, der von Bad Herrenalb durch das Albtal nach Ettlingen führt. Die in einigem Abstand parallel verlaufende Verkehrsstraße ist normalerweise stark frequentiert. Jetzt in der Nacht sind aber  kaum Autos unterwegs, die die Stille der Nacht stören. Und so ist auf den nächsten Kilometern weiterhin Genusslauf pur angesagt, zumal der Weg ohne wesentliche Steigungen auskommt.

Beim Fischweier bei km 25 ist eine weitere gut bestückte  Verpflegungsstelle. Ich stopfe mich mit Erdnüssen und Gummibärchen voll und kippe ein mit Wasser verdünntes Cola hinterher. Halt, der Kuchen lacht mich an. Heute muss ich das haben, schließlich macht meine Fettverbrennung Überstunden. 

Ich muss mich loben. Ich fühle mich besser als bei allen anderen Marathons in diesem Jahr. Und das auf nicht leichter Strecke und in der Nacht. Die Dunkelheit hat viele Vorteile. Einer davon – man sieht nicht jeden Hügel, rennt einfach weiter, den Blick immer auf den ausgeleuchteten Kreis gerichtet.  Der innere Schweinehund ist blind.

Am Neuroder Campinplatz ist schon wieder eine Verpflegungsstelle. Wie immer wird die Nummer notiert. „Hast Du sie richtig aufgeschrieben?“ „Ja, hab ich.“ „Gut, nicht dass ich umsonst gelaufen bin.“  Weiter geht’s auf dem Graf-Rhena-Weg Richtung Ettlingen.

Kurz vor der Verpflegungsstelle am Ettlinger Freibad ist eine große „70“ auf die Straße geschrieben. Noch 10 Kilometer! Es ist genau Mitternacht.  Wie auf Kommando gehen bei mir die Lichter aus. Eben habe ich mich noch gelobt, jetzt bin ich ein kraftloses Bündel.  Mehr als 100 m kann ich nicht laufen, dann muss ich 30 m gehen. Den angestrahlten Turm der Herz-Jesu-Kirche versuche ich aus verschiedenen Perspektiven zu knipsen, nur damit ich nicht laufen muss. Einem Passanten fällt das auf, hält mich wohl für einen Historiker und erzählt mir was von „1906 erbaut, bildet neben dem Rathausturm und dem Turm von St. Martin die Ettlinger Silhouette ….“

Ich laufe weiter, über die Ampel, immer geradeaus. Jetzt nehmen mich zwei andere Passanten ins Visier. Mir wird mulmig. „Die ondere sinn awer därt nuff gloffe.“  Wieder kommt mir zugute, dass ich die Landessprache spreche. Die beiden wollen mir nämlich sagen, ich bin verkehrt. Also 30 Meter zurück, links in die Durlacher Straße und schon sehe ich wieder ein rot/weißes Band.  Jetzt laufe ich 30 m und gehe 100 m. Mir tut nichts weh, ich bin einfach nur platt, müde, fertig. Es ist wohl mein Biorhythmus. Ein deutliches Zeichen, dass man, will man in der Nacht einen Ultra laufen, in Biel die 100 km zum Beispiel oder schlimmeres, man unbedingt auch den Schlafentzug trainieren muss. Aber Achtung, es ist ein Unterschied, ob man eine Nacht durchsäuft oder durchläuft.

Der reine Laufgenuss ist das jetzt nicht mehr, aber die Laune verdirbt mir das nicht. Es fällt mir im Traum nicht ein, mich mit Musik wach zu machen. Im Gegenteil, ich bin froh, als ich dem Lärm aus  einem Disco-Biergarten entronnen bin.  Die nächste Lärmquelle muss schon der  Lautsprecher im Ziel sein. Aber nach meiner  Schätzung sind es noch 3 Kilometer.  

Dann ist es geschafft. Nach einer Ehrenrunde auf dem grünen Rasen des Südstern-Geländes bin ich im Ziel. Dass hier in der Nacht keine Menschenmassen stehen, um mich für meine Leistung zu feiern, nehme ich hin. Aber dafür, dass ich mir 33 Jahre Zeit ließ, um diesen Lauf zu machen, könnte ich mir in den Arsch beißen. Nächstes Jahr schlage ich mir hier wieder die Nacht um die Ohren.

Siegerliste

80 km

Männer

1 Jeroen Romeijn 6:04:17,5
2 Guido Schwager 6:20:13,1
3 Steffen Bayer 6:39:37,4

Frauen

1 Nicole Benning 7:12:03,1
2 Stefanie Krieg 7:38:23,3
3 Ulrike Steeger 7:54:14,5

149 Finisher

 

Marathon

Männer

1 Dirk Karl 3:12:52,6
2 Klaus Bensching 3:14:09,2
3 Roman Legat 3:19:16,9

Frauen

1 Emmanuelle Vergé 3:27:30,5
2 Marita Rottach 3:51:29,8
3 Verena Henkenhaf 3:52:57,9

62 Finisher

12
 
 

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