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Laufberichte

Essen, Trinken, Ballern

 
Autor: Joe Kelbel

Der gut informierte Ultraläufer erkennt schon bei der Anreise über die A 67 das Außergewöhnliche an Eschollbrücken. Richtig! Die älteste Autobahnraststätte Deutschlands. Eigentlich wollte man die Autobahnen aus brauner Zeit nicht noch ausbauen, andererseits wuchs der Warentransport ab 1949 per Lastwagen enorm. 1950 legte die Forschungsgesellschaft fest, wie eine Autobahn-Serviceeinrichtung auszusehen hat: Wie lang die Ein-und Ausfahrten sein müssen, welche Kapazität die WC- Anlage haben muss, wie die Zapfsäulen angeordnet sind etc. 1955 wurden dann Pfungstadt Ost und West eröffnet. Und die Welt schaute auf diese Raststätte, fand das Konzept gut, und kopierte es. Wenn nun irgendwo auf der Welt ein Läufer eine Autobahnraststätte anfährt, dann bitte, denkt dran: Die Kapazität der Klo-Anlage wurde von den Deutschen berechnet! 

Der TSV Eschollbrücken hat berechnet, dass zwei Dixiklos für 90 Ultraläufer und etwa 100 25-Kilometerläufer reichen. Neu hinzugekommen sind dieses Jahr die 5 Kilometerläufer, die sich diesbezüglich hoffentlich bremsen können. 

Erster Blick fällt auf die Raststation von Florian Neuschwander, der sie auf einer Bierbank positioniert hat. Sollte der gebürtige Saarländer heute eigentlich nicht zur Wahlurne gehen?  Umso mehr sind diejenigen Läufer erschrocken, die sich heute einen Sieg ausgerechnet haben. Wohlsortiert, für alle 5 Kilometer (= 1 Runde), stehen die von Flo beim Erdogan (weil pfandfrei) organisierten Wasserflaschen bereit, beklebt mit einem schwarz-grünen Siegel: „Highend Ballern“.  Dabei sind sie nur zu 25 Prozent gefüllt,  mutmaßlich mit Wasser. In der Mitte des Siegels: „Run With The Flow“, seine Marke, die er genial mit seinem unkonventionellen Look etablieren konnte. 

 

 

Marlene hat ihre Raststätte auch auf einer Breite von einem Meter abgesteckt und jede Flasche mit deutlichen Warnhinweisen versehen. Es ist  Aberglaube, dass der Erfolg eines Laufes von der Eigenverpflegung abhängt. Wissenschaftlich erwiesen ist, dass ausschließlich der Inhalt meiner  Kühltasche die Welt bewegt. 

Wunder bewirkt auch ein blitzschneller Start, das frustriert jeden Konkurrenten, der nun sofort   Zweifel an seinen Fähigkeiten bekommt. Flo und ich nennen das „Ballern“. Flo hat das von mir und von seinem Idol Steve Prefontaine gelernt. Prefontaine ist anscheinend wieder ein Hinweis ins Saarland, aber Steve stammt aus Oregon und ich aus Bonn, von wo ich nächste Woche berichten werde. 

 

 

Das „Ballern“ ist genial, ich komme nach der zweiten Runde exakt zum Start der 5 Kilometerläufer um 9 Uhr ins Stadion, das baut auf. Gebremst werde ich nur von einer plattgetretene Spitzmaus, die wohl auf die Rechnung von Flo geht. Joey Kelly hätte die Reste aus dem Gras gepuhlt und gegrillt, ich dagegen begreife endlich, warum Naturschutzbehörden das Laufen, vor allem das schnelle Laufen, verbieten wollen. 

In der dritten Runde überholt mich Ballermann Flo zum zweiten Mal, ich kopiere nun perfekt seinen Laufstil und verbessere meine Rundenzeit nochmals um 2 Minuten. Wenn ich wollte, könnte ich ihn noch überholen, aber, ich bin hier, um auch noch den Laufstil der vielen Nachplatzierten zu kopieren, und das fällt mir von Runde zu Runde leichter.

Jede Runde wird von den aufmerksamen Mitgliedern des TSV Eschollbrücken perfekt notiert. Das macht diesen Lauf für uns preiswert, denn wir finanzieren keine Zeitnehmerfirma. 

Obwohl die ganze Anlage des TSV Eschollbrücken dringend eine Generalüberholung nötig hätte, uns stört es nicht, es ist der denkmalgeschützte Charme, den auch die Raststätte Pfungstadt einzigartig macht.

Zehn Mal werden wir an diesen historischen Wunderwerken  vorbeilaufen, man muss es nur wissen. Deswegen bin ich hier. Oder glaubt irgendwer, dass ich hier die Landschaft oder den Kurs bewundere? Nur wer genau hinschaut erkennt bei Kilometer 2,5 die Reihe der Lastwagen durch die dürren Bäume, die hier auf den Montag warten. Also, nicht die Bäume, sondern die Lastwagenfahrer. Angeblich werden zwischen 0 und 7 Uhr keine alkoholischen Getränke an der Autobahnraststation verkauft, das muss ich aber mal recherchieren. Jedenfalls rieche ich in der vierten Runde, dass nun die Fritteusen angeworfen werden. Es ist also nach 11 Uhr. Wenn ich Ultra laufe, dann schärfen sich meine Sinne, dann werde ich zum Trüffelhund, finde Essen und Getränke, die kilometerweit weg sind.

Flo entsorgt seine Getränkebehälter genau am Kilometerschild 1, ich könnte jetzt das Leergut einsammeln, einlösen und von dem Gewinn die Analyse des Inhalts finanzieren, aber es sind türkische Wasserflaschen, die sind pfandfrei, die hat er bestimmt in seinem Trainingsgebiet im Bahnhofsviertel erworben. Wäre Pfand drauf, dann könnte ich Preisgelder gewinnen, würde berühmt, könnte auch mein Lauflabel dursetzen: Run With Beer!“ Jeder Läufer würde mit Wampe laufen, die Laufwelt  würde sich verändern. 

 

 

Es ist Wind aufgekommen, die Fahnen an der Raststätte flattern, von den frisch erblühten Schlehenbüschen schneien die Blütenblätter herab, die tote Spitzmaus hat ihre Position geändert, sie ist deutlich platter geworden.  Ich auch, doch bei mir läuft kein Blut aus dem Spitzmaul. Nach der Spitzmaus kommt der Spielplatz, der nun belebter ist,  aber nur kurzfristig. Belebt bleiben nur die Eltern, die ihre lautstark fordernden Bälger auf den Schaukeln in Bewegung halten:  „ Mach mal höher, mach mal schnöller!“ Kein Kind ist alleine in diesem sonnigen Wald unterwegs, um den Frühling zu erleben. Nur wir furchtlosen Ultraläufer.

Die zwei Alten von der Muppetshow, die wie die Jahre vor der hölzernden Eule Wache stehen, damit niemand die Abkürzung über den Friedhof nimmt (HuHuHu, da geht das Grab auf, und da kommt ne schwarze Hand raus), weisen uns nach rechts in den Wald. 

Der Wald ist licht und freundlich und hinderliche Wurzeln sind mit Sägespänen gut markiert. Hinter dem Friedhof leuchtet der Blaustern, dessen Samen von Ameisen verteilt werden. In den letzten Jahren haben sie gute Arbeit geleistet, es gibt deutlich mehr davon. Die Helfer vom TSV machen auch gute Arbeit. Das spricht sich rum und so gibt dieses Jahr mehr Läufer als Blaustern. Die Kraft für die Früh-Blüterei,  bekommt man aus der Zwiebel, ich aus der Dose, Flo aus seinen pfandfreien, türkischen Wasserflaschen. Der Rest der Läufer versorgt sich an der super funktionierenden Verpflegungsstation. 

Letztes Jahr kam ich mit 6:10 ins Ziel. Es war mein erster Lauf nach den 210 Kilometern in Sri Lanka. Mein 280 Kilometer Lauf auf den Philippinen ist jetzt 3 Wochen her. Ich erreiche deshalb eine wesentlich besser Ziel (unter 6 Stunden), und das ohne Zwiebel. 

 

 

Ich habe gefinisht, auf der Bierbank-Raststation steht einsam eine Rest-Flasche Eigenverpflegung. „Ballern“ steht drauf, und eine große 40. Die nehm ich mit!  Der andere Flo, der Florian Reus warnt mich, ich solle aufpassen, dass ich mir keinen Zahn an dieser Flasche ausbreche. Ähm, hat da jemand eventuell schlechte Erfahrung gemacht? Holger entdeckt sofort die Zahnpastatube auf der „Highend Ballern“- Flasche vom Flo. Ich nehme die Fasche mit und bringe sie sofort nach Gießen ins Institut für Ultralaufwissenschaften, oder morgen Abend zum Laufshop. Hätte Flo diese Flasche mitsamt der Zahnpasta konsumiert, dann hätte er vielleicht gewonnen, ein  neuer Streckenrekord wurde es dann doch. Grandios. 

 

Gewonnen hat die 50 km Florian Neuschwander (3:05:25) vor  Kay Uwe Müller (3:15:59) und Forian Reus     (3:28:30)

 

Informationen: Eschollbrücker Ultra-Marathon
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