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Laufberichte

Ultra lang – Ultra hart – Ultra schön

 

 

Aufstieg zum Faulhorn

 

Durch buckelige Blumenwiesen schlängelt sich der Weg hinauf. Der Erholungsbonus von der Hütte währt nur kurz. Mit vollem Einsatz meiner Stöcke ziehe ich mich Meter für Meter nach oben. Es ist der einzige Abschnitt gemäß Streckenplan, der ganz ohne "negative" Höhenmeter ausgewiesen ist. Die Hitze und die zunehmend dünne Höhenluft machen mir zu schaffen. In immer kürzeren Intervallen muss ich keuchend innehalten und habe dabei immerhin ein Alibi, das den Horizont immer mehr füllende Bergpanorama hinter mir zu genießen. Wobei der Genuss stets mit Ernüchterung gepaart ist, wenn ich in der Gegenrichtung nach oben blicke, wo noch winzig klein wie ein Adlerhorst die Berghütte auf dem Gipfel thront.

Schon vorher hatten sich ganz unauffällig ein paar erste Dunstwölkchen am Himmel verteilt. Dass es allmählich mehr werden, merke ich jedoch erst so richtig, als sie einen ersten Schatten auf den Weg werfen. Nicht unglücklich bin ich darüber, schaffen sie doch ein wenig zusätzliche Kühle, auch wenn ich tempomäßig weiter im Schneckengang verharre. Auch zaubern sie ganz neue reizvolle optische Perspektiven. 

Steiler, ausgesetzter und durch schmelzenden Schnee matschiger wird der Weg. Ein dicker Wolkenballen schleicht um den Nachbargipfel herum und sendet seine Boten auch zum Faulhorn hinauf. Doch die Sonne bricht immer wieder durch und kreiert wundervolle Licht-Schatten-Spiele in der Landschaft. Auch wenn es dauert: Irgendwann habe auch ich mich auf den Berggrat gekämpft, der gen Gipfel führt. Vom Grat blicke ich direkt hinab auf den einsam-romantischen Bachalpsee tief unter mir und die diesen umgebende karge Bergwelt.

Ein letztes Mal muss ich alle Kräfte mobilisieren, um die finale Serpentinenpassage zu bewältigen. Dann ist es geschafft: Bei km 33,1 erreiche ich 2.680 m üNN den höchsten Punkt unseres Kurses. Endlich mal entspannt kann ich auf die nah und fern wild gefaltete, einsame Berglandschaft blicken, über der sich zunehmend Wolkenungetüme unter dem strahlenden Blau des Himmels breit machen. Ein wundervolles Bild, das schnell die Anstrengung vergessen lässt. Gipfelglück nennt man wohl so etwas. Ein etwas anderes Bild präsentiert sich allerdings in der Gegenrichtung gen Eiger. Hinter dem sich auf dem Faulhorn duckenden Berghotel sehe ich nurmehr eine weiße Wand, die nur ab und an ein kleines Fenster öffnet, durch das man die großen Gipfel des Berner Oberlandes erspähen kann.

Groß ist der Andrang am geschützt an der Hütte gelegenen Verpflegungstisch. Warme Bouillon und Tee finden reißenden Absatz. Viele lassen sich nieder, um einmal richtig durchzuschnaufen. Fast 3.000 Höhenmeter haben wir bis hierher bereits bewältigt. Ich kenne keinen Marathon, der auf der Gesamtdistanz mehr Höhenmeter aufweist. Bis 13:20 Uhr muss man gemäß Reglement den Gipfel verlassen haben, will man im Rennen bleiben. Beruhigend ist, dass mein Zeitpuffer bis dahin auch jetzt noch fast zwei Stunden beträgt.

 

Vom Faulhorn zur Schynigen Platte


Nicht ganz leicht fällt der Abschied. Die in den Wolken doch schnell einsetzende Auskühlung  motiviert dennoch zum Aufbruch. Elf Kilometer misst unsere nächste Etappe zum Schynigen Platte. Elf Kilometer Trail durch hochalpines Gelände, die mit zum Feinsten gehören, was ich je bei einem Berglauf erlebt habe. Auf keinem Abschnitt des Trails klickt meine Kamera denn auch öfter.  

Steil stürzt der Weg zunächst durch kantiges Geröll ab. Wehe dem, der sich allzu sehr von dem fantastischen Ausblick tief hinab ins Aaretal ablenken lässt, aus dem opalblau der Brienzersee empor strahlt. Wilde Wolkenhaufen türmen sich über den Bergketten jenseits des Aaretals. Im scharfen Kontrast dazu wölbt sich darüber das makellose Lichtblau des Himmels. Auch in der Gegenrichtung reißt der Wolkenvorhang immer wieder auf und gibt den Blick frei auf die Eisriesenwelt rund um den Eiger. Unser Pfad flacht ab, bleibt aber steinig und führt als Panoramaweg weitgehend über den bis auf karge Grasmatten vegetationslosen Berggrat. Aufgelockert wird der Weg durch vereinzelte Schneefelder, über die wir auf rutschigen Trampelpfaden balancieren müssen. 

Noch etwas abenteuerlicher wird der Trail jenseits des in einem kleinen Felsental versteckten Berghauses Männdleden. Zwischen erodierten Felsblöcken windet er sich durch, jeder Schritt muss mit Bedacht gewählt werden. Unser Gleichgewichtssinn und unsere Rutschfähigkeit werden immer wieder auf abschüssigen Schneepassagen auf die Probe gestellt. Nicht jeder hat sich dabei im Griff, was für nette Slapstick-Einlagen sorgt.

Auf langen Geraden geht es weiter durch geröllige Hänge, die bisweilen fast wie eine Mondlandschaft anmuten. Steigungen sind immer wieder zu überwinden, aber mehr noch geht es weiter hinab. Und je tiefer wir kommen, desto grüner wird es, desto mehr gewinnt die Natur die Überhand über den Fels. In einem durch hohe Felsen geschützten Kessel komme ich mir vor wie im Backofen. Dennoch: Die bizarren Felsformationen, die unberührte Natur und die sich immer wieder öffnenden Fernblicke vermögen mich stets auf ein Neues von meiner Erschöpfung abzulenken und zu begeistern.

Mitten im Nirgendwo, wie auch hier, sind immer wieder Bergwachtler postiert. Einsam, fast schon versteckt, haben Sie ein waches Auge darauf, dass kein Laufschäflein verloren geht. Auf meine Frage, wann wir die nächste Hütte erreichen, weist er aufmunternd nach unten und signalisiert, dass es nicht mehr weit sei. Nun ja: Vorstellung und Realität weichen oft weit voneinander ab. Und statt erhoffter fünf sind es letztlich sechzig Minuten, die ich noch brauchen werde.

Immerhin: Als sich die weiten grünen Almen mit üppiger Blumenpracht füllen, weiß ich: Die Schynige Platte ist erreicht. Weithin bekannt ist dieses Gebiet für seine besonders vielfältige  Bergvegetation, für so manchen allein ein Grund, hier her zu kommen. Nach Norden fällt die Platte teils fast senkrecht ins Tal hinab, während sie sich nach Süden relativ sanft absenkt. Das macht die Bezeichnung Schynige = Scheinige Platte schnell plausibel.

Direkt zur Abbruchkante führt unser Weg, über die ein angenehm kühler Wind streicht. Überwältigend, fast schon beängstigend ist der Blick in die Tiefe. 1.400 m weiter unten breitet sich sich Interlaken, der Startort des Jungfrau Marathon auf dem Bödeli, zur Linken der Thuner-, zur Rechten der Brienzersee aus. Was für eine Kulisse! In der Nähe der Kante geht es weiter dahin und schließlich durch die Weite der Blumenwiesen. Als ich am Horizont eine Hütte entdecke, auf die sich kleine Punkte zubewegen, frohlocke ich schon. Geschafft, endlich wieder etwas Kühles zu trinken! Aber Ernüchterung macht sich breit, als ich noch etwas genauer in die Ferne blicke. Denn unsere Laufstrecke führt keineswegs direkt dorthin, sondern in einem laaaangen, schier gar nicht enden wollenden Bogen durch Fels und Wiesen.

14:00 Uhr, zwei Stunden vor dem Zeitlimit, zeigt die Uhr an, als ich nach 44 km endlich an der Berghütte auf 1.967 m üNN einlaufe. Brütend heiß ist es und zu allem Überfluss liegt der Stand auch noch in der prallen Sonne. Ich komme mir vor wie ein Kamel, als ich einen Becher nach dem anderen in mich hinein kippe und das Durstgefühl einfach nicht los werde. Ich finde eine Bank im Schatten und endlich für ein paar Minuten die ersehnte Entspannung.  

 
 

Informationen: Eiger Ultra Trail
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