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Laufberichte

Zum Wohl die Pfalz

 


Alla hopp!


Wer den Lauf beenden muss, kann ab jeder Verpflegungsstelle vom Deutschen Roten Kreuz nach Bockenheim zurückgebracht werden. Fast gebe ich auf, also ich meine das Weintrinken, und fange an, zu mischen. Der Weinkenner zuckt zusammen: Weinschorle - ein Gemisch aus Wein und Wasser, dennoch ein schaurig schönes Gesöff.

Es wird ruhiger auf der Strecke und in meinem Langzeitgedächtnis fängt es an zu arbeiten. Vor mehr als zwanzig Jahren wurde ich familiär zur (un)freiwilligen Arbeit im Weinberg verpflichtet. „Alla hopp! Gud des de do bischd. Isses des erschde mol, des de lääse tuuscht?“ Was, ihr versteht nichts – macht nichts, so erging es mir auch, bei meinem ersten Mal.

Es begann an einem kühlen Samstagmorgen im September. Ich war Anfang dreißig und erstmals zum „Herbschten“ (Traubenlese) in der Pfalz. Hier werden die Trauben noch mit der Hand gelesen. Auf dem Hof von Onkel Hans, irgendwie nannte ihn jeder Onkel Hans, wuselten viele Helfer umher. Neben Ackerbau und Milchwirtschaft gab es dort auch Weinbau. Meine komplette Familie war zu dieser Zeit im Einsatz, von meiner sechsjährigen Tochter bis zu meiner Schwester und unseren Eltern, ja selbst meine Arbeitskollegen, die heute übrigens eine eigene Weinhandlung betreiben, halfen mit. Wir alle waren an diesem Tag als die sogenannten „Leser“ eingeteilt.

Ein Trecker mit einem Planwagenanhänger stand zur Abfahrt in die Wingert (Weinberge) bereit. Im Wagen duftete es nach Lewwerworscht und Bauernbrot. Hinten auf der schaukelnden Roll wurde die Fahrt durch die Wingert über die rumpeligen, schnurgeraden Betonplattenwege zum Erlebnis. Mir war es ein Rätsel, wie Onkel Hans genau wusste, an welcher Reihe er stoppen musste – in Deutschlands zweitgrößtem Weinanbaugebiet. Auf einer Fläche von etwa 23.500 Hektar wird in der Pfalz Wein kultiviert. Den größten Anteil hat dabei die helle Weintraube, also der Riesling, bzw. der Weiß- und Grauburgunder. Für mich sah daher jede Reihe gleich aus, wenn es nicht gerade ein Dornfelder Weinstock war.

Am hauseigenen Wingert angekommen sagte Onkel Hans: „Alla hopp! Do häscht erschd mol dei eichen Schäär uunen Ehmer füa dei Trauwe.“ Wie gesagt, es gibt beim „Herbschten“ die Leser und die Träger. Die Träger holen sich die prall gefüllten Eimer bei den Weinlesern und leeren diese auf den Anhänger. Ich wollte besonders fleißig sein und schnitt und schnitt. Die Gudde ins Gröbche, die schlechten ins… KREISCH! Eckel überkommt mich. Zwei Augen schauen mich aus einem behaarten Körper an. „Alla kumm, schmees die kla Spinn do mit na“ tönt es schon von hinten… Was schlicht schimmlig oder edelschimmlig, was zu grün und damit noch zu sauer ist, werde ich wohl nicht mehr enträtseln. Wie das endete? – Dieser Jahrgang wurde nicht zum Spitzenjahrgang gewählt und zur Leserin bin ich gänzlich ungeeignet. Aber fürs Öffnen der Flaschen und zum Trinken des Weines reicht es allemal.

Übrigens rasiert bei Onkel Hans mittlerweile ein Monster von Traubenvollernter die Reben und das Lesen von Hand ist vielerorts nur noch als Event buchbar. „S`isch Äns!“, (Es ist ein Uhr) ruft die Pfälzer Frohnatur und ich bin mental wieder zurück auf der Strecke. 


 „In Ungstä und Derkem do trittscht uff´s Pedal…“


Unberührtes Land ist das hier schon lange nicht mehr. Die ersten Winzer in Ungstein sollen vor rund 2000 Jahren die Römer gewesen sein, die ihren Wein noch mit Füßen traten. Davon zeugt eine gut erhaltene römische Villa mit Herrenhaus, Bad und Nebengebäuden, die sich auf der linken Seite der Laufstrecke befindet. Die Weinlagen hier tragen klingende Namen wie: „Honigsack“, „Kirchenstück“ und „Himmelsreich“. 


 „Do kann mer drinke was mer will do schmeckt de Woi…“


Es gibt doch noch Gerechtigkeit in dieser Läuferwelt. Häufig werden marathonfreudige Genießer an den Verpflegungsstellen mit Wasser und Obst abgespeist. Noch nach Stunden des kräftezehrenden Laufens werden Bananen und Äpfel aufgetischt. Ein Gel, ein paar Nüsse oder Orangen sind gewöhnlich schon der kulinarische Höhepunkt. Der Läufer nimmt es resigniert hin, schließlich ist er durstig und hungrig. Doch hier ist alles anders. Es wird geschlemmt und Wein verkostet. Viel Wein. Die Pfälzer lieben ihn. Die Pink Panther lieben ihn. Ich liebe ihn auch. Aber, nein danke, keinen weiteren Becher Riesling mehr. Noch liegt ein weiter Weg vor mir. Schwindelgefühl – der Wein betäubt meine Schmerzen, bringt den Asphalt zum Wanken. Ich stolpere auf der Suche nach weiteren Fotomotiven, quasi Fallobst. Immerhin ist die Richtung klar, um ins Ziel zu gelangen.

Beim Start sah alles noch ganz einfach aus. Nirgendwo sonst wird der Wein in Form von getränkten Weinschwämmen degustiert. Alkohol macht gesprächig. In der Hand noch immer den hochprozentigen Schwamm und meine Pfälzer Frohnatur stammelt fröhlich alkohol-geschwängerte Sätze, erzählt mir irgendetwas von einem reichen Onkel aus Amerika.


„In Kallstadt do schmeckt a de Saumage foi…“


Schaulustige säumen die schmale Hauptstraße des Edelweinortes Kallstadt. Auf die 1.200-Einwohner-Gemeinde kommen unglaubliche 30 Weinbaubetriebe  – darunter bestehen einige bereits in der 5. Generation. Rechts und links ich sehe altes Fachwerk, erbaut zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert.



Auch die Weingüter der Familien Heinz und Trump müssten irgendwo hier zu finden sein. "Heinz" und "Trump" sind keine seltenen Namen hier in Kallstadt. 1840 war der damals 31-jährige Johann Heinrich Heinz nur einer von Millionen Auswanderern, die im 19. Jahrhundert ihr Glück im entfernten Amerika suchten. Und gerade einmal 45 Jahre später startete auch der damals erst 16 Jahre alte Friseur (Friedrich Drumpf) Fred Trump sein Abenteuer. Er ist der Großvater Donald Trumps. Jawohl, dem Multimilliardär Donald Trump mit den glitzernden Wolkenkratzern in New-York.

Heinz und Trump wollten mehr als die kleine Pfälzer Landidylle und begaben sich auf eine gefährliche und lange Schifffahrt, ohne zu wissen, ob sie jemals ihr Zuhause wiedersehen würden. Erst sein Sohn, der Ketschup Milliardär Henry  John Heinz, besuchte 1898 erstmals den Geburtsort seines Vaters. Der Ketchup-Magnat war in der ganzen Welt zuhause, aber Urlaub machte er immer in der Pfalz. Für die Kinder war er der klassische reiche Onkel aus Amerika. Ab dem ersten Weltkrieg gab es keine Urlaube mehr. Erst der Ur- Ur-, Enkel, Andre Heinz nahm 2002 den Kontakt zur deutschen Familie wieder auf. Die Familien Heinz und  Trump sind dank Katharina Heinz, geb. Trump (1897–1987) auch miteinander verwandt. Mich faszinieren diese uramerikanischen Biografien, besonders solche mit einem Happy End! Mein Blick fällt auf die Dorfkirche in der 1902 die Großeltern Donald Trumps heirateten.


Saumagen zum Essen und zum Trinken


„Arebligg“ ruft die Pfälzer Frohnatur und macht mich auf die nun folgende, kulinarische Krönung unserer Exkursion aufmerksam: Auf der Speisekarte der „Saumagenstube“ stehen Weine und regionale Gerichte. So auch der rund und prall gefüllte Magen, in dem hellgelbe Brocken schwimmen. Appetitlich sieht das für mich jedenfalls nicht aus. Dabei, so erklärt mir die Pfälzer Frohnatur, seien die eingeweichten Brocken im Pfälzer Saumagen doch nur gute Kartoffeln, Schweine- und Hackfleisch – also nichts Unappetitliches.  Mit Saumagenwein gibt es ihn an der Verpflegung  zum Kosten. Saumagen wird in Kallstadt auch ein Weinbaugebietes bezeichnet; auf ihm wächst vor allem Riesling. Man vermutet, dass er den Namen aufgrund der sackförmigen Parzellen erhielt.

Sackförmig war Anfang des 19. Jahrhunderts auch die Kopfbedeckung der Pfälzer Winzerinnen. Und so nannte man jene Hüte ebenfalls  Saumagen, wie auch sonst?  Vor lauter Saumägen, bin ich dankbar, weiter laufen zu können und nicht probieren zu müssen.

Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät? Soll das heißen, ja ihr Leut, mit den Panthern ist Schluss für heut? Die rosaroten Panther hatten schon vor längerem ihren Abgang. Es herrschen ungewöhnlich warme 22 Grad und bereits dreißig Kilometer sind gelaufen. Ich frage mich, wie die rosa  Riesling-Schlotzer wohl über den nächsten großen Anstieg nach Herxheim am Berg kommen wollen. Heiliger Schutzpatron der Winzer, steh‘ ihnen bei.


 „In Herxem do kannscht uff´m Himmelreich soi“


Gegen Schweißdrüseninkontinenz hilft nur eine Rieslingnebel-Dusche. Und die bekommen die Läufer in Herxheim am Berg. Begeistert laufe gleich zweimal hindurch. Mit dieser „Geruchsvisitenkarte“ laufe ich an einer der vielen Straußenwirtschaften vorbei, die es bereits seit dem Jahr 791 per Erlass Karls des Großen geben soll. Nicht nur ich spüre den Alkohol, aber ich reiße mich zusammen. Die Strecke führt weiter über die einzige und für heute gesperrte Hauptverkehrsstraße mitten durch den Ort, vorbei an Wohnhäusern, Höfen und Weingütern. Auf einer Anhöhe sitzt ein Helfer und beobachtet die zu ihm aufsteigenden, letzten Reste der ursprünglichen Läufermassen.



Wie zum Trost wird auf dieser Kuppe der letzte Rieslingschwamm gereicht. Ich wringe den vollgesaugten, bereits warmen Schwamm mit dem Renommiertropfen deutscher Winzer über mir aus. Gutgelaunt und beschwingt laufe ich weiter.


Golfgarten


Hier zwischen Reben und Obstbäumen messen sich nicht nur die Läufer in Jahrgängen. Wer wollte, der könnte heute auch z. B. Schnuppergolfen beim Golf Club Deutsche Weinstraße e.V. Unglaublich: Der 400-Seelenort Dackenheim gehört zwar zu den kleinsten Orten des Landkreises Bad Dürkheim, verfügt aber tatsächlich über einen eigenen Golfplatz, auf dem die Löcher nach den sie umgebenden Rebsorten und den entsprechenden Obstsorten benannt sind.

Neun Kilometer liegen noch vor mir. Ich laufe und der Verkehr steht. Ich folge dem Weinstraßen-Signet weiter und laufe entlang der gesperrten Hauptstraße, auf der sich an jedem Tag über zehntausende Autos durch den malerischen Ort Kirchheim quälen, weiter Richtung Grünstadt. Kaum ein anderes Weindorf der Region, klärt die Pfälzer Frohnatur mich auf, besäße eine solche Fülle barocker Winzerhöfe.



 Insgesamt 30 Bauten und Gebäudeteile gelten als schutzwürdig. Ich frage mich, ob dies vielleicht der Grund ist, warum wir nicht durch den Ort laufen? Wieder in Grünstadt angelangt, koste ich den Grünstädter Wein, von dem sich auch schon der Philosoph Immanuel Kant inspirieren ließ. Das 1729 gegründete Leininger-Gymnasium, an dem ich jetzt vorbeilaufe, gilt als eines der ältesten Schulen Deutschlands.


Ein starker Abgang


Müde kämpfe ich noch immer mit Pfälzer Weinbergschnecken. Andere sitzen bereits im schönen Pfalzhotel, vielleicht sogar bei Pfalzschneckennudeln und Pfalzschnecken-Secco. Erleichtert atme ich auf, denn ich erkenne das Haus der Deutschen Weinstraße, von dem aus ich heute Morgen gestartet bin. Nur noch wenige Meter und die Pfälzer Frohnatur und ich erreichen das Ziel. Die beiden rosa Panther habe ich leider nicht mehr getroffen, denke aber, dass sie noch gut über die Runde gekommen sind. Ich jedenfalls freue mich über meine neue Medaille in Traubenform. Und so sonnig wie heute das Wetter war, so strahlt auch das Finisher-Shirt mit der Aufschrift: „Ich war an der Deutschen Weinstraße dabei!“

Zurück in der Heimat macht sich Ernüchterung breit. "Der Kopf tut weh, die Füße stinken, höchste Zeit noch einen Wein zu trinken". Zum Wohl die Pfalz!
Resümee: Ein Marathon-Straßenfest, das bei traumhaften Frühlingswetter alle begeisterte.

 

Info:


Gesamtzeit/Höhenmeter/Streckenprofil:
Zielschluss nach 5:30 Stunden/495 Höhenmeter auf überwiegend asphaltierten Straßen

Anreise:
Sehr gut organisierter Shuttle-Bus mit ausreichend Parkmöglichkeiten vorhanden

Veranstalter und Ausrichter:
Kreis Bad Dürkheim, TSG Grünstadt, TSV Bockenheim
Temperatur am Veranstaltungstag: 22°C

Verpflegung:
Kleine Marathonmesse mit Nudelparty am Vortag
Elf Verpflegungsstellen

Kosten:
Die Nachmeldegebühr beträgt 49 Euro für den Marathon.

Siegerehrung:
Ehrung für die Gesamtsieger Frauen/Männer (Plätze 1 – 5), der/die schnellste Pfälzer Läufer(in). Die flotteste Mannschaft bei den Frauen/Männer (Plätze 1 – 3).
Keine Altersklassensiegerehrung, jedoch erhalten diese (Plätze 1 – 3) ein Weinpräsent.

 

Marathonsieger:

 

Männer

1 Kinde, Yonas (ETH) CA Belvaux 02:23:47 (neuer Streckenrekord)
2 Chepkwony, Richard (KEN) 02:25:01
3 Sturm, Marco (GER) SWC Regensburg 02:29:08


Frauen

1 Kiprono, Prisca (KEN) 02:50:24
2 Staeves, Anne (GER) LG Trampeltier 03:30:34
3 Groch, Andrea (GER) TSG Kaiserslautern 03:31:54


818 Finisher


Angemerkt:


Laufinteressierte können ihren Voyeurismus live von der Strecke im Internet verfolgen. Eine ganze Menge virtuelle Augen in Form von Webcams stehen an verschiedenen Streckenabschnitten und senden alle paar Sekunden Bilder ins Netz.


Vorgemerkt:

 

Jetzt schon vormerken den Jubiläumslauf 10. MARATHON DEUTSCHE WEINSTRASSE am 10. April 2016!

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Informationen: Marathon Deutsche Weinstraße
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