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Laufberichte

92. Comrades Marathon: Dabei sein ist alles

 

„Zinikele – it takes all of you“ - unter diesem Motto steht der diesjährige Comrades Marathon. Zu meinem Erstaunen treffe ich immer noch Leute, die diesen spektakulären Lauf in Südafrika nicht kennen. Zumindest in der eingeschworenen Ultralaufszene hat es sich aber mittlerweile herumgesprochen, dass dieser faszinierende Lauf unbedingt auf die Liste der „must haves“ gehört. Sicher, Deutschland - Südafrika ist eine große Entfernung, wo man nicht mal eben kurz hinfährt. Die Familie kann man zwar mitnehmen, das Ganze wird dadurch aber deutlich teurer. Auch die klimatischen Besonderheiten sollten berücksichtigt werden und man muss sich noch rechtzeitig qualifizieren. Trotzdem kann ich jedem, der es sich zutraut, nur empfehlen, das Abenteuer Comrades anzugehen.

Es gibt etliche Reiseveranstalter, die den Comrades im Programm haben. Flug, Unterkunft und Startgeld ist dann im Reisepreis enthalten. Außerdem sind Läufer und Familie rundum versorgt und auch ein Anschlussaufenthalt mit Bade-, oder Safarimöglichkeit wird angeboten. Norbert und ich haben das beim ersten Mal ebenso gemacht. Unserem guten Kontakte zu Werner Otto Laufreisen, verdanken wir immer noch einen komfortablen Transfer nach dem Lauf von Pietermaritzburg zurück nach Durban.

 

Für Comrades Neulinge will ich
zunächst eine kleine Einführung geben:

 

Mit zwanzigtausend Voranmeldungen ist der Comrades Marathon der größte Ultramarathon der Welt. Er geht zurück auf den Weltkriegsveteran Vic Clapham, der mit dem Lauf ein Denkmal für seine gefallenen Kameraden errichten wollte. Am 24. Mai 1921 machten sich 34 Läufer von Pietermaritzburg zum ersten Mal auf den Weg, von denen 17 das Ziel in Durban erreichten. Mit der Zeit wurde der Comrades (=Kameraden) zum größten Sportereignis Südafrikas. Es hatte vorwiegend politische Gründe, warum der Lauf außerhalb des Landes so gut wie unbekannt blieb.

Nach dem Ende der Apartheid kamen 1993, unter anderem mit Klaus Neumann und Charlie Doll, die ersten internationalen Ultraläufer. Dass damals Charlie Doll als erster deutscher Starter gleich den Lauf gewinnen konnte, sei auch erwähnt. 1995 errang dann die deutsche Läuferin Maria Bak den ersten von drei Siegen bei den Frauen. Und 1999 triumphierte Birgit Lennartz.

Grund genug, es vielleicht auch mal zu versuchen? Als Qualifikation genügt der Nachweis eines Marathons, gelaufen unter 5 Stunden. Ob das allerdings reicht, um dann auch die knapp 90 km lange Strecke zu schaffen, sei mal dahingestellt. Erschwerend kommt hinzu, dass die 12 Stunden Zielzeit brutto gemessen werden. Was vor allem für die schwächeren Läufer in den hinteren Startblöcken eine zusätzliche Herausforderung darstellt.

 

 

Der Comrades Marathon führt in diesem Jahr up hill. Von Durban am indischen Ozean geht es nach Pietermaritzburg in den Bergen und im folgenden Jahr down hill in umgekehrter Richtung. Für mich ist bergauf ein Handycap. Nachdem ich es aber vorletztes Jahr bereits geschafft habe und die Strecke dieses Jahr mit 87,5 km nochmal kürzer ist, bin ich guter Dinge. Mein Ziel ist es, Drummond auf halber Strecke innerhalb des geforderten Limits von 6h10 zu erreichen. Dann sind die größten Steigungen vorbei und die restliche Strecke ist für mich dann noch gut zu meistern.

Start ist pünktlich um 5 Uhr 30 vor dem Rathaus in Durban. Es ist noch dunkel, als Norbert sich in seinen Startblock C verabschiedet. Ich hab die Qualifikation für G, das ist ausnahmsweise mal nicht ganz hinten. Die Startblöcke werden um 5 Uhr 15 geschlossen.

Der Start befindet sich auf der fünfspurigen Straße im Stadtzentrum und wird flankiert vom historischem Rathaus links und dem Post Office rechts aus derselben Epoche. Die Atmosphäre hier ist einmalig. Beide Gebäude sind beleuchtet und auf dem gegenüberliegenden Hochhaus läuft eine Projektion auf und ab. Die Straße ist brechend voll. 20 000 Läufer sind ja auch kein Pappenstiel. Weil fast alle die Mütze des Hauptsponsors tragen, sieht es aus wie ein Meer von weißen Wellen, die sich immer auf und ab bewegen. Mit dem Schließen der Startblöcke geht es plötzlich nach vorne. Eventuell vorhandene Lücken im Startblock werden nun von hinten aufgefüllt. Denn es gilt, wie gesagt, Bruttozeitmessung und keiner will hier unnötig Zeit verlieren.

Kurz vor dem Start wird die Südafrikanische Nationalhymne gespielt. Alle nehmen die Mützen ab, die Einheimischen legen die Hand aufs Herz und singen inbrünstig mit. Dann wird die zweite „Nationalhymne“ angestimmt. Das ehemalige Arbeiterlied Shosholoza ist auch international bekannt und bedeutet so viel wie „geh voran“. Für solch einen Lauf also eine perfekte Einstimmung. Es ist unbeschreiblich und ergreifend, Teil dieses riesigen Chores zu sein. Verstohlen wird die eine oder andere Träne aus dem Auge gewischt. Einem kurzen Moment der Stille folgt Chariotts of Fire, das dann in tausendfachem Jubel ausklingt. Wer hier nicht ergriffen ist, ist fehl am Platz. Traditionell ertönt nach dem Startschuss ein dreimaliger Hahnenschrei (nicht Original sondern vom Band). Dann geht es endlich los.

Bei uns hinten dauert es bis sich das Feld in Bewegung setzt. Ich schaue auf die Uhr: knapp 7 Minuten sind bereits vergangen, als ich über die Startlinie gehen kann. Dort ist Stimmung wie in einem Hexenkessel. Ohrenbetäubende Musik und der Moderator heizen die Menge zusätzlich an. Im Scheinwerfer regnet Konfetti auf die Läufer nieder. Von der aufgebauten Tribüne wird angefeuert was geht. Trommler geben den Takt vor.

Hinter dem eigentlichen Startbereich sperren hohe Metallzäune den Laufbereich ab. Die Zuschauer sehen aus, wie eingesperrt. Sie jubeln, tanzen und schreien. Bald werden die Absperrungen weniger aber keineswegs die Zuschauer. Erst langsam leert sich der Bürgersteig. Neben dem lauten Trapp-Trapp der vielen Laufschuhe auf dem Asphalt liegt lautes Geschrei in der Luft. Irgendwie laufen wir darauf zu. Dann sind wir mittendrin. Rechts und links stehen wieder Fans in Dreierreihen. Der Lärm ist ohrenbetäubend, aber unheimlich motivierend. Irgendwann wird es dennoch ruhiger. Während wir auf der Autobahnbrücke nach oben laufen, liegen die Viertel der Armen unter uns. Dort ist es dunkel. Aber andauerndes Hupen von unten zeigt, dass auch dort Anteil genommen wird. Aufmunterndes Pfeifen und Rufen aus der Dunkelheit wird von den Läufern umgehend beantwortet.

 

 

Vor mir tauchen zwei Läufer mit dem auffallenden Germany-Shirt auf. Judith und Ulrike haben sich zufällig in der Dunkelheit gefunden und sind nun ein gutes Team. Mir sind die beiden zu schnell und ich lasse sie daher ziehen. Während wir langsam Durban City verlassen, wird es kühler, am Start hatte es optimale 14 °C. Deshalb kann ich es mir auch leisten, die erste VP auszulassen. Beim Comrades gibt es die meisten Getränke eisgekühlt in kleinen Kunststoffbeuteln mit 150 ml, ähnlich wie bei uns das billige Wassereis. Man kann es elegant mit sich führen und bei Bedarf verwenden. Auf der gesamten Strecke gibt es insgesamt 46 VPs, d.h. im Schnitt alle 2 km. Es ist also nicht so schlimm, wenn man mal eine auslässt.

Es geht von der Autobahn N3 auf die zweispurige M13. Wir haben den ersten kleinen Hügel mit dem Stadtteil Berea überwunden und haben den Anstieg Richtung Cowies Hill vor uns. Seit einiger Zeit befinde ich mich im Feld eines Pacemakers. Die Gruppen um einen solchen Zielzeitläufer werden beim Comrades „Busse“ genannt. In so einem Bus hat auch ein unerfahrener Läufer die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen. In den Vorjahren habe ich mit diesen Bussen allerdings keine guten Erfahrungen gemacht. Mir kommt es vor, als ob die Pacer ein zu starres Konzept verfolgen. Es wird eine bestimmte Zeit gelaufen und dann eine bestimmte Zeit gegangen, unabhängig von den Geländegegebenheiten. So kommt es vor, dass bergauf gelaufen und bergab gegangen wird.

Heute scheint das jedoch anders. Der „busdriver“ macht das wirklich gut, feuert an und motiviert mit Sprechgesang die Gruppe so, dass ich gerade auf dem langen Anstieg gut mitkomme. Es ist sicher nicht verkehrt, hier mit zu schwimmen. In der Ferne dämmert es allmählich und langsam geht die Sonne auf. Immer wieder stehen Zuschauer am Straßenrand. In Westville ist alles auf den Beinen, um die Läufer anzufeuern. Hier geht es nur bergauf und daher ist der Zuspruch herzlichst willkommen.

Von Cowies Hill hat man einen tollen Ausblick zurück auf die hügelige Vorstadt von Durban. Ein Schild kündet bereits den ersten Cutoff in Pinetown an. Man muss um 8 Uhr 10 bei km 18 sein. Ich hab hier 10 Minuten Luft - alles im grünen Bereich. Es geht bergab und so laufen wir flott den Berg hinunter. Im Ort Cowies Hill ist einiges los. Die Anfeuerungen der Zuschauer peitschen die Läufer durch den Ort.

Wir sind nun auf dem zweiten und längsten Anstieg auf Bothas Hill. Über ungefähr 16 km geht es mehr oder weniger steil insgesamt 500 hm bergauf. Unterbrochen wird das Ganze hin und wieder durch kurze Gefällstrecken. Alles in allem nichts Dramatisches. Dazwischen liegt für uns, fast unbemerkt, der zweite Berg, Fields Hill. Ich bleibe locker und schließe mich zeitweise einer weiteren Pacergruppe an.

 

 

Die Strecke verlässt die M13 und biegt auf die Old Main Road ein. Der Pacer macht uns auf einen Läufer aufmerksam, der unbeachtet zu meiner linken läuft. Seiner Startnummer kann man entnehmen, dass Johann bereits 39 mal den Comrades gefinisht hat. Was für eine Leistung.

Auf der Old Main Road in Kloof ist gerade Frühstückszeit. Die Bewohner haben Tische und Stühle an der Strecke aufgestellt und feuern die Läufer an. Wir haben 25 km geschafft und es wird wärmer, die VPs sind jetzt sehr begehrt. Den Helfern wird das Wasser regelrecht aus den Händen gerissen. Es gibt auch Energade in verschiedenen Farben und Cola, das bereits in Becher gefüllt ist. Zum Essen werden Orangenschnitze angeboten, manchmal gekochte Kartoffeln oder Bananen. Ich nehme alle 5 km eine Salztablette, um Krämpfen vorzubeugen und habe Gel dabei. Mir geht es gut.

Mit dem auffälligen Germany-Shirt werde ich oft angesprochen. Südafrikanische Läufer versuchen ihre Deutschkenntnisse an mir und heißen mich in ihrem schönen Land willkommen. Zuschauer sind ganz aus dem Häuschen, dass jemand von soweit zum Laufen hier her kommt. Diese ausgelassene Stimmung begleitet mich die ganze Strecke über, und macht das Laufen hier zu etwas Besonderem.

Den zweiten Cutoff in Winston Park bei 4h30 und 30 km überquere ich mit neunzehn Minuten Vorsprung. Es wird zunehmend heißer und meine Beine sind bleischwer. Bis Hillcrest stehen oder sitzen durchgehend Zuschauer an der Strecke und es gibt etwas Schatten. Die Stimmung unter den Zuschauern ist überschäumend und nimmt auch die Läufer mit.

Hillcrest selbst ist trotz Verkehrschaos heute für Besucher gut zu erreichen. Hier steht normalerweise Werner Otto mit seiner Reisegruppe. Ihre gelben Fahnen entdecke ich beim Vorbeilaufen. Sofort werde ich erkannt und angefeuert.

 

 

Beinahe bin ich froh, als es nach Montrose hinauf etwas ruhiger wird. An der langen Steigung haben sich nur Hardcore Fans eingefunden. Doch die Ruhe ist nur kurz. Die Old Main Road führt wieder durch Massen von Zuschauern, die es sich an der Strecke bequem gemacht haben. Ein Banner über der Straße kündet das Kearsney College an. Die Jungs in ihren feinen dunklen Anzügen bieten Orangenschnitze und Bananen an. Sie stehen in Gruppen und amüsieren sich köstlich. Die Älteren auf der Tribüne vor dem Tor des alteingesessenen Schulkomplexes sind scheinbar müde. Ich begrüße sie mit „Hallo Guys“. Lauter Applaus kommt zurück.

Es geht nun leicht bergab. Nanu, ich dachte Bothas Hill ist oben. Hinter einer Kurve geht es dann aber doch bergauf und kurz vor km 37 ist der dritte Berg geschafft. Wir sind jetzt so um die 800 m hoch und bewegen uns nun mehr oder weniger auf diesem Niveau. Obwohl die höchste Erhebung noch aussteht, sollte der Lauf nun leichter werden. Man sagt, dass beim Comrades insgesamt 5 Berge, die Big Five, zu überwinden sind: Cowies Hill, Fields Hill, Bohtas Hill, Inchanga und Polly Shorts. Wieso in dieser Aufzählung die höchste Erhebung Umlaas Road fehlt, ist mir allerdings ein Rätsel.

Wir kommen am Phe Zulu Safari Park vorbei. Kein Tier ist zu sehen und das ist auch gut so. Auf Krokodile und Schlangen habe ich gerade keine Lust. Dafür freue ich mich an der weiten Aussicht auf Afrikanisches Buschland. Auch die lange Steigung kann meine Laune nicht trüben. Wer glaubt, hier in dieser einsamen Gegend sei nichts los, der irrt: mehrere hundert Fans haben sich entlang der Straße aufgereiht um, mit Partyzelt und Grill ausgestattet, die Läuferschar anzufeuern. Das Militär hat eine eigene VP und gibt Wasser und gekochte Kartoffeln aus. Die dicke Salzkruste der Erdäpfel soll vor Krämpfe schützen. Ein Mann hat eine Spritze und begießt die Läufer mit wunderbar kaltem Wasser.

 

 

Hinter der nächsten Kurve befindet sich die Wall of Honour. Jeder Finisher kann hier einen Stein mit seinem Namen setzen lassen. Alle großen Läufer sind natürlich dort verewigt. Mittlerweile musste die Mauer verlängert werden, um die Namen der vielen Finisher aufzunehmen. Heute befindet sich vor der Mauer ein langer Drahtzaun. Unzählige rote Papierblumen stecken darin, die den Läufer vorher übergeben wurden. Hierdurch wird auf eine der vielen Spendenorganisatoren des Laufs hingewiesen. Etwas weiter hat man eine grandiose Aussicht auf das Tal der tausend Hügel.

Ein paar hundert Meter weiter liegt Arthur’s Seat, eine Einbuchtung in der Böschung neben der Straße. Der fünfmalige Comrades-Sieger Arthur Newton hatte hier auf seiner Trainingsstrecke seinen Pausenplatz. Einer Legende zufolge wird es Läufern, die hier während des Laufs eine Blume mit dem Gruß „Good morning Arthur“ niederlegen, auf der zweiten Hälfte des Laufes gut ergehen. Ich hab vor ein paar Kilometern eine gelbe Blume gepflückt und lege sie nun bei Arthur‘s Seat nieder. Man weiß ja nie! Dann geht es bergab. Rechts und links der Straße wird gegrillt und gefeiert.

Endlich erreichen wir Drummond und damit ist die Hälfte der Strecke geschafft. Hier kocht die Stimmung: laute Musik wummert, ein Moderator begrüßt die Läufer und das zahlreiche Publikum scheint jeden Einzeln anzufeuern. Die Uhr zeigt 6:03:03. Das sind knappe 7 Minuten bis Cutoff, aber tatsächlich mehr als die Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit. Ich muss also den zweiten Streckenabschnitt schneller laufen als den ersten. Das hat schon einmal geklappt und so mache ich mir keine Sorgen.

Ich bin gerade schön in Schwung, da ärgert es mich, dass nun viele Läufer abbremsen und eine Gehpause einlegen. Gut, hier wird aus Zelten der einzelnen Gruppen Verpflegung und medizinischer support gereicht, aber muss man sich mitten in den Weg stellen? Im Zick zack laufe ich um die Geher herum. Können sie nicht warten, bis wir auf der nächsten Steigung sind?

Hinter der nächsten Kurve geht es lange bergauf. Noch geraume Zeit hören wir den Sprecher von unten. Er verkündet den Cutoff. Man merkt, dass im Feld das Mitleid mit den nun aus dem Rennen genommenen Kameraden groß ist. Von hinten ist Motorenlärm zu hören. Und dann kommt sie, die Bus-Karavane mit den ausgeschiedenen Läufern. Die Stimmung im Feld ist gedrückt. Erst als wir auf dem Gipfel von Inchanga, dem vierten Berg, von Schlachtenbummlern lautstark begrüßt werden, können wir den Lauf wieder genießen.

Jeder Kilometer wird durch große Schilder angezeigt, und zwar die noch zu laufende Distanz. Jetzt sind es noch 39 km. Hohe Zahlen waren bisher eher wenig motivierend. Jetzt ist aber eine drei vorne, also weniger als ein Marathon. Das macht Laune.

 

 

Wir laufen in brütender Hitze, Schatten gibt es so gut wie keinen. Leider ist nun an einigen VPs das Wasser aus, für viele meiner Mitstreiter ein Desaster. Sie vertragen das in rauen Mengen angebotene Energade nicht und können auch ihr mitgebrachtes Getränkepulver nicht mischen. Ich sehe immer mehr Läufer, die sich am Straßenrand übergeben. Gerade jetzt auf den schattenfreien Kilometern ist es besonders schlimm. Mir macht das nicht so viel. Auf Anraten von Klaus Neumann behalte ich immer einen Vorrat Wasser, bis es das nächste Mal welches gibt. Außerdem genügt mir das Bier, das ich von den Zuschauern bekomme.

Wir passieren die Ethembeni School for Handicapped Children. Die Schüler, Lehrer und Betreuer sind seit jeher an der Strecke, um die vorbeikommenden Läufer anzufeuern. Dies ist vor Jahren einem amerikanischen Sportler aufgefallen. Im Folgejahr sammelte er spontan Geld und spendete es der Schule. Mittlerweile wird der gesamte Etat der Schule durch den Lauf finanziert. Die meisten Läufer lassen es sich nicht nehmen, die lange Reihe der Kinder abzuklatschen.

Ein Schild kündigt den 4. Cutoff für 13Uhr40 bei km 56,7 an. Meine Armbanduhr zeigt dort 13Uhr36. Ich rechne, ob das fürs Ziel reichen kann. Für ca 30 Kilometer habe ich 3h24 Zeit. Das ist ein 7er Schnitt. Zwar nicht unmöglich, aber doch unwahrscheinlich. Es müssten noch 2 Cuttoffs kommen. Der eine ist bei Polly Shorts ca 7km vor Schluss, aber wo und wann ist der andere? Ich kann mich nicht erinnern.

Die weiten, ausgetrockneten Wiesen hinter Cato Ridge sind zugeparkt und überall stehen Menschen an der Strecke. Es wird gegrillt und so manche zusätzliche Verpflegung an die Läufer verteilt. Auch Wasser wird angeboten, nachdem sich die Wasserknappheit an den VPs herumgesprochen hat. Vielen Dank an dieses tolle Publikum.

Ein paar Kilometer ist es nun richtig flach. Bei km 26 (noch zu laufen) führt uns eine Brücke über die Autobahn. Der Anstieg hat es in sich. Oben sieht man einige Läufer mit Krämpfen und welche, die sich gerade ihres Mageninhalts erleichtern. Ich überhole Wolfgang. Er wird wohl den nächsten Cuttoff nicht rechtzeitig erreichen, freut sich aber, so weit gekommen zu sein. Die Straße liegt schnurgerade und wellig vor uns. Der Asphalt scheint zu glühen. Kein Schatten weit und breit. Ich überhole unzählige Geher. Bei mir läuft es noch ganz gut.

Im nächsten Ort rufen die Leute schon: „Watched the next cutt off“. Aha, ich meine mich zu erinnern. Coca Cola hat hier ihre VP. Ich trinke noch einen Becher, dann muss die Autobahn unterquert werden. Hinter einer Kurve sind zahlreiche Zuschauer versammelt. Gerade höre ich, wie der Moderator meint, es seien noch 5 Minuten zum Cuttoff. Wie weit mag das sein? Da sehe ich das Schild: es ist tatsächlich noch ein Kilometer. Das schaffe ich nie in 5 Minuten. Trotzdem gebe ich Gas. Vielleicht ist die Strecke ungenau vermessen, man weiß ja nie. Ich fege an den Zuschauern vorbei, überhole Läufer um Läufer. Das Publikum tobt. Und dann ist es vorbei. Die Strecke ist abgesperrt. Wir dürfen nicht weiter. Cutt off bei Umlaas Road km 66,7 um 15 Uhr. Mir fehlen 3 Minuten.

Von hinten kommen immer mehr angelaufen, viele sind bereits ins Gehen gefallen. Die Enttäuschung ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Mit Ulli und Ekki sind wir drei Deutsche, die es hier erwischt. Von hinten kommt nun eine Karawane von Bussen, die die Läufer von der Strecke pflückt. Alle Fahrzeuge sind voll. In diesem Moment ziehen Wolken vor die Sonne, es kühlt merklich ab. Wir stehen im Wind und frieren. Es dauert, bis man uns mit Folien versorgt und wir in die Busse steigen können.

Zunächst fahren wir auf der verstopften Autobahn, dann biegen wir auf die Laufstrecke ein. Die Helfer an den VP und viele der Zuschauer beklatschen unseren Bus. Kurz vor dem Cuttoff um 16Uhr40 erreichen wir Polly Shorts. Hier wird angehalten und wir haben einen Paradeblick auf die Geschehnisse dort. Kurz vor dem Cuttoff sehe ich einen Mann und eine Frau noch beschleunigen. Der Mann schafft es gerade noch, dann springt ein Helfer der Frau vor die Füße und verhindert, dass sie die Zeitmessmatte noch überqueren kann. Sie war ca einen Meter zu spät. Punkt16Uhr40 wird dicht gemacht.

Das Ziel ist in diesem Jahr der Scottsville Racecourse, der Pferderennbahn von Pietermaritzburg. Alles ist etwas großzügiger als im Cricket Stadion, dem Ziel der Vorjahre. Während wir uns zum International Tend, dem Zelt der internationalen Läufer aufmachen, können wir anhand der Sprecherdurchsagen verfolgen, dass es nur noch wenige Minuten zum Zielschluss sind. Die jubelnden Zuschauer machen einen Höllenlärm. Bei genau 12 Stunden Laufzeit sind Ulli, Ekki und ich noch auf einer Treppe eingekeilt und können uns nur vorstellen, was sich gerade auf dem Rasen unter uns abspielt. Punkt 17 Uhr 30 wird das Ziel zugemacht. Der Trompeter spielt und der letzte Finisher wird interviewt. Den meisten Applaus an diesem Tag aber erhält der erste Läufer, der nicht finishen kann. Das ist der Spirit des Comrades: hier zählt jeder gleich, egal ob Sieger oder Gescheiterter.

Im International Tend ist die deutsche Gruppe bereits versammelt. Gegenseitige Glückwünsche sind angebracht. Norbert hat es natürlich geschafft. Gratulation. Wir werden rundherum bedauert, aber alle sind wohlbehalten angekommen und das ist die Hauptsache. Es gibt noch Essen und Bier. Später begeben wir uns zum Ausgang und dann zum Bus. Unser Bus der Reisegruppe um Werner Otto hat etwas entfernt geparkt. So gelingt es relativ schnell, dem jetzt herrschenden Verkehrschaos zu entrinnen.

Der Südafrikaner Bongmusa Mthembu gewinnt das Rennen mit 5:35:34 vor Hatiwande Nyamande aus Sambia und Vorjahresgewinner Gift Kelehe. Bei den Frauen hat die Amerikanerin Camille Herron mit 6:27:35 die Nase vorn. 2. wird  die Russin Alexandra Morozova, Charne Bosman die Südafrikanische Vorjahreserste wird dritte. Die Schweizerin Jasmin Nunige wird 5.

Von 17.031 gestarteten Athleten erreichten 13.852 innerhalb 12 Stunden das Ziel. 400 Läufer mussten medizinisch versorgt werden, sind aber mittlerweile alle wieder wohl auf. Comrades Arzt Jeremy Boulter sagte hinterher: „It was a normal day of controlled chaos.“ Nicht umsonst gilt die medizinische Versorgung beim Comrades als die größte, temporäre medizinische Einrichtung außerhalb einer Krisenregion.

Mein erster Gedanke nach dem knappen Ausscheiden ist: „O.k., ich bin zu langsam, Schluss mit dem Comrades“. Im Rescuebus ist man aber ganz anderer Meinung. Alle  wollen nun noch motivierter im nächsten Jahr antreten und das Ziel zu erreichen. Das ist irgendwie ansteckend. Bereits beim Verlassen des Busses weiß ich, dass ich nächstes Jahr wieder komme. Vielleicht ist das Finish gar nicht sooo wichtig. Beim Comrades dabei sein ist alles.

 


 
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