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Laufberichte

84. Comrades Marathon 2009: The ultimate human race

24.05.09

Geschafft - das Ziel im Sahara Stadium

Das Fiepen der Zeitmatten unter dem großen gelben Zielbogen beendet meinen Lauf. Mit 8:54: 27 werde ich später als 2.257ster von 10.006 Läufern, die es 2009 innerhalb der Sollzeit von 12 Stunden ins Ziel geschafft haben, in der Einlaufliste auftauchen. Aber im Moment ist die exakte Zeit für mich zweitrangig. Ich bin einfach nur glücklich, erleichtert, stolz - und erschöpft.

Als Einläufer unter 9 Stunden wird mir die Bill-Rowan-Medaille - in Bronze mit Silberrand - umgehängt, die vierte im Ranking der sechs Medaillentypen, die beim Comrades Marathon vergeben werden. Wer nach 9 Stunden einläuft, erhält Bronze, wer zwischen 11 und 12 Stunden braucht, bekommt die kupferne Vic Clapham-Medaille. Gestalterisch sind die Medaillen im Übrigen alle gleich und bleiben dies auch traditionell so über die Jahre.   

Weiter werde ich auf die große Rasenfläche inmitten des Cricket-Grounds geleitet, dessen Boden dicht an dicht von erschöpften Läufern übersät ist. Einzelne werden vor Ort physiotherapeutisch oder ärztlich betreut, wenn es sein muss, auch mit der Trage abtransportiert. Viele liegen aber auch nur einfach lächelnd da und genießen wie ich den  Augenblick. Jetzt merke auch ich, wie die Anspannung von mir abfällt, wie meine Schritte immer schwerer werden. Jetzt noch weiterlaufen? Keine Chance. Aber bis hierher hat es gereicht. Ich setze oder lege mich ganz bewusst nicht auf den Boden, da ich mich vor dem Wiederaufstehen fürchte. Ich bummele ein wenig durch das Stadion und lasse die grandiose Szenerie auf mich wirken. In einem speziell für die internationalen Läufer errichteten Zelt bekomme ich Essen und Getränke, bekomme aber kaum einen Bissen herunter. Dafür schmeckt das kühle Bier umso besser. Schön ist es auch, mit anderen Läufern die vollbrachte Großtat nochmals Revue passieren zu lassen.

Doch dann zieht es mich wieder zum Zieleinlauf. Mit ein bisschen Geduld ergattere ich schließlich einen Platz unmittelbar hinter der Absperrbande und lasse den Einlauf nun aus der Zuschauerperspektive ganz entspannt auf mich wirken. Die fetzige Musik und die beiden sich bestens ergänzenden Zielmoderatoren schaffen es, die Zuschauer allzeit in Laune zu halten und eine permanente Spannung zu erzeugen.

Groß wird insbesondere alle halbe Stunden die Ankunft der Pacer und Ihres dichten Gefolges, hier “bus” genannt, angekündigt und gefeiert. Eine Großprojektionsfläche überträgt alles hautnah auch für diejenigen, die nicht so nah am Geschehen sind. Sehr unterschiedlich, aber zumeist sehr emotional zeigen die Ankömmlinge Ihre Gefühle. Gerade bei den Schwarzafrikanern ist ein letztes Tänzchen oder ein Schlangenlinienlauf beliebt, andere fallen auf die Knie, küssen den Boden und richten ihre Hände zum Dankesgruß gen Himmel, wieder andere nehmen sich an den Händen und laufen in einer Kette ins Ziel. Aber es gibt auch die, die sich schwer gezeichnet mit letzter Kraft über die Ziellinie retten, einer fällt immer wieder zu Boden und krabbelt schließlich ins Ziel. Manche werden, ganz dem Comrades-Gedanken entsprechend, links und rechts von anderen Läufern gestützt ins Ziel geleitet - entscheidend ist nur, dass sie es auf eigenen Beinen ins Ziel schaffen. Besonders viel Beifall empfängt auch die, die verkleidet ins Ziel kommen oder stolz die südafrikanische Flagge schwenken. Besonders angekündigt und beklatscht werden auch die Vielstarter, wobei manch ältere Semester beeindruckende Serien vorweisen können.   

Schon ab 17 Uhr wird es rasch dunkel, Flutlicht lässt die Szenerie im Stadion aber taghell erscheinen. Langsam rückt der Zielschluss um 17.30 näher. Die Spannung steigt. Um 17.20 löst die Ankunft der letzten beiden “buses”, derjenigen, die sich einem der beiden 12-Stunden-Pacer angeschlossen haben, wahre Begeisterungsstürme aus. Hunderte sind es, die hier nochmals in einem dichten Pulk jubelnd ins Ziel strömen. Die Spannung wächst weiter. Die beiden Moderatoren laufen mit ihren mobilen Mikros jetzt direkt vor dem Zieleinlauf herum und peitschen die Stimmung an. Nur tröpfchenweise, aber immer noch beständig kommen Läufer an.

Um 17.27 Uhr ist es soweit: “The final countdown”, ein Rockklassiker der Band Europe, dröhnt aus den Boxen. Das Lärmpegel, den die noch zu Tausenden mitfiebernden Zuschauer entwickeln, ist dramatisch. Dann die letzten Sekunden: Wer wird es als Letzter schaffen und wer nicht mehr? Jerry Mboweni ist es, der nach 11:59:59 gerade noch über die Ziellinie hechten kann und sich über einen großen Blumenstrauß und sein Bild in der Zeitung am nächsten Tag freuen darf. Um Schlag 17.30 wird von einer Sekunde auf die andere das Ziel mit einem Gitter verrammelt. Der nächstfolgende Läufer kann es nicht fassen. Er lässt sich zu Boden stürzen und bleibt theatralisch liegen. Denjenigen, die jetzt noch kommen, steht der Frust ins Gesicht geschrieben. Aber da ist der Comrades gnadenlos. 12 Stunden hat man Zeit - und keine Sekunde länger.

Noch nie zuvor habe ich nach einem Lauf drei Stunden im Ziel ausgeharrt. Aber es hat auch noch keinen Lauf gegeben, der mich emotional selbst als Zuschauer so mitgerissen hat. Der Comrades trägt für mich zurecht das Prädikat “ultimate”, denn was hier abgeht, ist wirklich einzigartig. Verstehen kann ich daher jetzt gut, dass die Menschen alljährlich wieder kommen, um bei diesem Spektakel dabei zu sein.

Überraschungssieger bei den Männern ist in diesem Jahr übrigens der Zimbabwer Stephen Muzhingi, der in gerade einmal 5:23:26 den erst knapp 10 Minuten später einlaufenden Vorjahressieger, Streckenrekordhalter und Favoriten Leonid Shvetsov deklassiert. Den Sieg in der Frauenkonkurrenz holen sich weniger überraschend  einmal mehr die russischen Nurgalieva-Schwestern, wobei diesmal Olesya in 6:12:11 die Nase vor Ihrer Zwillingsschwester Elena hat. Für Ihren Sieg heimsen Stepheh und Oleysa jeweils ein Preisgeld von 220.000 Rand (etwa 19.875 EUR) ein.

In Erinnerung wird mir der Comrades Marathon bleiben als ein Ultralauf der Extraklasse, ein Lauf, der in keiner Weise mit anderen vergleichbar ist und mit Sicherheit eines der großartigsten Lauferlebnisse dieses Planten bietet. Wer ein halbwegs ambitionierte Marathonläufer ist, dem kann ich daher nur wärmstens empfehlen, zumindest einmal hier anzutreten - vielleicht schon 2010, denn entgegen der jahrzehntelangen Tradition wird der Comrades Marathon im Jubiläumsjahr 2010 und anlässlich der Fußball-WM im eigenen Land erneut als „down run“ ausgetragen.

Termin: 30. Mai 2010

 
 


 
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