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Laufberichte

Glück muss man haben

02.10.11


 
Um den Pudding gehen

 

In Bremen geht man gern um den Pudding, sagt eine Redewendung. Na denn, gehen wir doch noch mal um den Pudding auf die nächsten 21 Kilometer und gleich hinein in den Rhododendronpark.  Auf einer Fläche von über 35 ha mit Mischwald befinden sich Anpflanzungen mit über 1600 Arten. Dort sollen Züchtungen zu sehen sein, die bis zum Jahre 1849 zurückreichen.

Bei KM 23 kommen wir auf die Universitätsallee. Die Universität Bremen ist eine der jüngeren staatlichen Universitäten Deutschlands. Direkt an der Bremer Uni strahlt die Sonne auf den futuristischen silbernen Wal des Universum-Science-Center. Dort versucht man den Geheimnissen des Universums auf den Grund zu kommen. Auch DEN amerikanischen Traum gibt es in Bremen: Ein Reisebüro für reiche Hobby-Astronauten. 20, 30, 40 Millionen teure Ausflüge zur Raumstation kann man hier buchen.

Ich lauf lieber mal weiter, durch die Parkallee in Richtung Bürgerpark. Der Park ist eine ehemalige Viehweide, die lange Zeit brach lag. Hier kann man glatt vergessen, dass man sich fast in der Stadt befindet. Gutsherrin Emma von Lesum hat Bremen eine wunderbare Legende geschenkt, die seit Anfang des 18. Jahrhunderts erzählt wird. Im Jahr 1032 brauchten die Bremer Bürger dringend Weideland und baten die verwitwete Gräfin um Hilfe. Sie versprach ihnen so viel Weidefläche, wie ein Mann in einer Stunde umrunden könne. Das passte dem Bruder, der Angst um sein Erbe hatte, ganz und gar nicht. Der Bruder wollte wenigstens den Mann aussuchen, der die Strecke ablaufen sollte und wählte einen Krüppel ohne Beine aus. Die Gräfin segnete den Mann und betete für ihn, und so kroch er los und umrundete, von der Menge angefeuert und unterstützt, eine riesige Fläche, die damit als Bürgerweide in die Legende einging. Wer dem Bremer Roland auf die Füße schaut, sieht ein Bild des Krüppels, das die Bremer aus Dankbarkeit dort in Stein meißeln ließen.

Irgendwann fange ich an die Kilometer runter zu zählen. Jetzt haben wir nur noch 14 Kilometer vor uns und ich habe gerade einen „toten Punkt“ erreicht. Apropos:

 

Mysteriöse Todesfälle und die letzte öffentliche Hinrichtung

 

In den Kellergewölben des Doms liegt eine bunt gemischte Gesellschaft von acht Mumien in ihren Särgen. Darunter unter anderem eine Lady aus England sowie ein schwedischer General. Die mumifizierende Wirkung dieses Kellers wurde vor 500 bis 600 Jahren entdeckt. Oder: Zwischen Rathaus und Dom wurden 35000 Zuschauer Zeuge, wie ein Scharfrichter der Massenmörderin Gesche Gottfried am 21. April 1831 mit dem Schwert den Kopf abschlug. Er wurde später in Formalin eingelegt und öffentlich zur Schau gestellt. Dies war die letzte öffentliche Hinrichtung in Bremen. An Gesches Hinrichtung erinnert der Spuckstein in etwa 20 Meter Entfernung vom Brautportal des Doms. Man geht leider achtlos drüber hinweg. Dabei bringt es angeblich Unglück, auf den unscheinbaren Pflasterstein mit eingeritztem Kreuz zu treten. Zum Glück laufen wir daran aber nicht vorbei.

KM 31: Toll, ein bisschen erinnert mich das hier an das neugebaute Hafengebiet in Buenos Aires. Alte Handelsspeicher, Hafenpromenaden und neue Architektur vereinen sich hier zu einem Ganzen. Hier erfolgt die Umnutzung des 1950 als Lagerhaus errichteten "Speicher I". Heute würden Esel, Hund, Katze und Huhn sicherlich in einem der neuen Flusshäuser im mondänen Loft-Look am Weserufer wohnen. In der Überseestadt entstehen zwischen den alten Speichern immer mehr moderne Wohnhäuser, vor deren Balkone die Schiffe vorbeiziehen.  Herrschaftlich und schmal stehen die Altbremer Häuser da. Die Preise liegen bei 3000 EURO pro Quadratmeter und selbst eine renovierungsbedürftige Villa bringt es hier auf 800000 EURO.

Auch hier motiviert ein Moderator die Läufer auf ihrem Weg. Ein Läufer, der ständig einige Schritte hinter mir war, überholt genau jetzt. Wahrscheinlich möchte er vor uns an dem Moderator vorbei kommen. Er kann ja nichts dafür. Männliches Imponiergehabe ist nach Ansicht der Forscher ein Erbe der Evolution: ein Signal an die Frauen, dass hier ein starker Beschützer gesundes Erbgut weiterzugeben hat. Aber irgendwie sind hier alle sehr nett und zuvorkommend. Vielleicht, so denke ich mir, liegt das an dem Domverwalter Adolph Freiherr von Knigge, den man auch als Benimm-Autorität kennt und der 1796 im Bremer Dom beerdigt wurde.

Bei KM 34 kommen wir an die sogenannte „Schlachte“. Der Name kommt von slagte, also vom Einschlagen der Uferpfähle. Die Schlachte gilt heute als Gastronomie- und Biergartenmeile und bei diesem fantastischen Wetter sind heute restlos alle Tische besetzt.  Zahlreich sind die Bremer an der Strecke und feuern auch die letzten Läufer noch einmal so richtig an. Lange laufen wir an der Weserpromenade. KM 36 wir sind an der Teerhofbrücke. Die Mittagssonne brennt, keine frische Brise weht! 

Gesundheit und Glück sind eng miteinander verbunden. Wer sich fit und gesund fühlt, behauptet von sich auch, glücklich zu sein. Auch Sport ist ein Glücksfaktor. Bei manchen Halbmarathonläufern bin ich mir da nicht so sicher. Jetzt überholen wir einen, der macht es richtig. Gemütlich geht er zur nächsten Verpflegungsstelle. Auf seinem Laufshirt steht „Hetz mich nicht!“.

Wie ein Feuerwerker seine besten Böller zum Schluss auspackt, so setzt der Organisator hier noch einen drauf: Genau bei Kilometer 38 erwartet uns eine weitere Besonderheit. Wir werden mitten durch das Weserstadion geführt und laufen direkt an den Trainerbänken vorbei. So was habe ich noch nicht gesehen, was für ein Rasen! Und das Stadion, wirklich beeindruckend. Ich setze mich auf die Trainerbank und jetzt fehlt eigentlich nur noch Werders Boss Klaus Allofs. Als Teenager hatte ich ihn als Poster aus dem Kicker Magazin in meinem Kleiderschrank hängen - aber nur für ein paar Wochen.

Meine Träumerei endet abrupt, als auch hier ein Moderator zum Weiterlaufen motiviert. Am Stadion befindet sich übrigens auch die größte und leistungsfähigste Solaranlage, die derzeit in eine Sportstätte integriert ist – und das europaweit. Während wir uns noch über das eben erlebte unterhalten, passieren wir auch schon KM 40 und 41.

Schon von weitem hört man die Stimme des Sprechers im Zielbereich. „Glücklich der Mann, der den Hafen erreicht hat, und hinter sich ließ das Meer und die Stürme, und jetzt so warm und ruhig sitzt. Im guten Ratskeller zu Bremen. Wie doch die Welt so traulich und lieblich im Römerglas sich widerspiegelt, und wie der wogende Mikrokosmos, sonnig hinabfließt ins durstige Herz!“ Dies Gedicht schrieb Heinrich Heine bei seinem Aufenthalt im September 1826 im Ratskeller in Bremen. Könnte doch sein, dass er das Gedicht nach einem Volkslauf in Bremen verfasst hat, oder?

So kurz vor dem Ziel fällt niemand mehr in ein mentales Loch, aber vielleicht in das Bremer Loch? Das Bremer Loch. Eine der jüngsten Bremer Sehenswürdigkeiten. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Gullydeckel. Tatsächlich aber handelt es sich um 'Deutschlands erste unterirdische Spendendose'. Das 'Loch' ist ein Projekt der Wilhelm-Kaisen-Bürgerhilfe, die das Geld an unterschiedliche Einrichtungen weiterleitet. Pro Jahr kommen auf diese Weise über 15.000 EURO zusammen. Und der Einwurf lohnt: bei jeder noch so kleinen Spende ertönt wildes Geschrei der Bremer Stadtmusikanten.

Wie kann man besser das besondere Flair und die kulturelle Vielfalt der 1200 Jahre alten Hansestadt Bremen erleben, als bei einem Marathonlauf? Rathaus, Roland, Stadtmusikanten: die großen Bremer Wahrzeichen und UNESCO-Weltkulturerbe zeugen von einer bewegten und sagenhaften Vergangenheit.

Der Roland ist das Ziel! Im Vergleich zum Hamburg- oder Berlinmarathon wirkt der Marathon in Bremen eher klein. Dennoch spielt er im Konzert der Großen mit. Die ganze Stadt ist eine Freilichtbühne und alle Läufer spielen auf ihr heute eine Hauptrolle. Mit tosendem Applaus der Zuschauer und einem herzlichen Willkommen des Moderators erwartet uns ein Spalier junger Cheerleader und wir bekommen unsere Medaille überreicht und Roland zwinkert zu uns hinüber.
Kühlende Getränke und leckere Speisen erwarten uns im Zielbereich. Wir erleben es gerade wie Joachim Ringelnatz 1924 der ebenfalls in die Bremer kulinarischen Genüsse kam: „Bin faul und mäste mich“, „Denn diese Stadt ist echt, und echt ist selten“

 

Fazit:

 

Jeder wird belohnt, der auszieht, sein Glück zu finden und wach geküsst zu werden. Die Siegerehrung findet auf einer Bühne ebenfalls direkt am Marktplatz statt. In der Mitte des Pflasters könnte man  das Hanseatenkreuz sehen. Heute jedoch nicht und gestern auch nicht. Der Platz ist so beliebt wie der Markusplatz in Venedig. Alles Schöne, das man bei einem Marathon-Sightseeing sehen möchte, liegt dicht beieinander. Im Umkreis von 50 Metern befinden sich bereits die Duschwagen und ebenfalls in Sichtweite ein schönes Café. Während wir hier noch gemütlich sitzen, beginnt der Anpfiff beim Fußballspiel Hannover gegen Werder. Daher konnte ich Klaus auf der grünen Bank nicht treffen. Gut gelaunt und glücklich, gewünschtes „Glück gehabt“ zu haben, gönnen wir auch den Bremer Spielern heute  den Erfolg, auf dass die Bremer auch im nächsten Jahr wieder zu den glücklichsten Deutschen gehören.

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Informationen: Bremen Marathon
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