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Laufberichte

Water-1oo

17.06.11
Autor: Joe Kelbel

Aarberg, Stimmungshöhepunkt, aber nicht heute. Alles verschwimmt im Schleier des Regens. Kaum Zuschauer. Fotos? Wie denn? Nass, klatschnass. Kalt, saukalt. Die Kleidung scheuert fürchterlich, mir tut alles weh, alles! Water-1oo!

Die Holzbrücke. Sicht= 0. Wasserfolter. Mir ist schlecht. Lyss, ab hier Fahrradbegleitung. Bin ich froh, dass ich sowas nicht brauche. Habe genung Problem mit den wunden Stellen und den nervenden Schuhsohlen. Manchmal warte ich einige Kilometer, um sie wieder reinzuschieben, dann reiben sich aber die Zehen wund. Die Fersen sind eh schon blank, und Nippel und Pippel.... haben Frauen eigentlich wegen der geringeren Angriffsfläche weniger Probleme als Männer?

Grossaffoltern, 1:30 Uhr. Hier geht es ewiglang auf einer Landstrasse entlang. Ich mache meine Stirnlampe aus, klemme mich auf den Mittelstreifen und döse vor mich hin. Ab und zu nicke ich weg, die Regentropfen sind so einschläfernd. Scheunenberg, der Verpflegungspunkt weckt mich auf. Dösen. Kontrollpunkt im gleissenden Licht.

Oberramsern (km 40). Charakteristische Bauernhäuser mit tief heruntergezogenen Walmdächern, mir doch egal. Feldwege. Mülchi, Etzelkofen, Jenenstorf , es dauert Ewigkeiten, bis ich das  50 km-Schild erreiche. Es ist kurz vor 4 Uhr. Mann! Gute Zeit!  Zielzeit ausrechen: nochmal 6 Std drauf, Schwächezugabe 30 Minuten und ich habe eine Zielzeit von 12:30. Geil! Und das bei dem Wetter!

Kernenried, weiter, weiter! Auf dem Dorfplatz, unter der Linde  kotzt sich ein Läufer den Magen raus. Das Würgen begleitet mich noch bis zum Ortsausgang.Kirchberg, km 56, da habe ich Bier gebunkert. Aber wie jedes Jahr: Dieser Trubel, du wirst aus deinem Tran gerissen, bist plötzlich unter Leuten, musst suchen, wo dein Zeug ist, schwätzt mit Leuten, die hier aussteigen. Licht, grelles Licht. Ich mag keine menschlichen Kontakte mehr. Ich will zurück in meine Nacht, in mein Water-1oo.

Es graut dem Morgen und mir, als ich den legendären Ho-Chi-Minh-Pfad ansteuere. Endlich, endlich hat mein Körper seinen Widerstand aufgegeben und ich kann frei laufen. Und was habe ich jetzt für eine Freude! In einem starken Trupp von etwa 20 Leuten fetzen wir über den grausamen Pfad, in einer Reihe, voll diszipliniert, niemand überholt, tolles Tempo. Ganz, ganz tolles Laufen.

Die Vögel beginnen ihr Morgenlied. Tatsächlich geht es wohl nicht nur um Revier und Fortpflanzung, die singen einfach so aus Zeitvertreib, da ja nix Fressbares oder Fortpflanzungsfähiges  wach ist. Ja, so ist es! Und so laufe ich auch einfach aus Zeitvertreib. Futtern kann ich nix mehr, Fortpflanzung ist wegen der wunden Stellen auch nicht angesagt, und mein Revier ist es auch nicht. Also laufe ich!

In Gerlafingen geht es durch das Areal des Stahlwerkes. Zischen und Pfeifen des Walzwerkes. Zahlreiche Industriekanäle, mehrere kleine Wasserkraftwerke, dann stehen da die Begleiter mit ihren Rädern und applaudieren. Jajaja. Ich bin in meinem Element und laufe. Laufe fantastisch wie ein Uhrwerk. Ganz, ganz tolles Gefühl. Alles wund, überall, die Fußsohlen lösen sich ab, der Regen deprimiert, aber alles klar da oben im Cockpit der Andrea Doria.  Das Cockpit löst sich vom Rumpf, es ist ein freies Laufen, wunderbar!

Biberist (Papierfabrik), Lüterkofen-Ichterswil, wo bleibt das km70 Schild? Mann, letztes Jahr war es doch dort! Die Bäckerei, ich linse hinein. Haben die Bier? Soll ich ne Milch trinken? Neeee, Leute! Mir geht es wunderbar! Keine Milch!

Bibern (der Name leitet sich tatsächlich vom Tier Biber ab), dort gibt es eine Sanitätsstation, die nennen das hier „Samariterstation“. Dort könnte ich mir eine Großpackung Vaseline ordern, um die blutenden Stellen zu versorgen, aber der Weg ist mal so ewig weit, dann diese perverse Steigung. Es ist mir wichtiger, mich mit den genialen Orangenscheiben zu versorgen. Die ganze Nacht habe ich das Zeug gefuttert. Mein Körper will wohl Vitamine. Nun sieht mein Hemnd aus, als hätte ich draufgekübelt, dabei sind das nur die Reste von unzähligen Orangenscheibe. Das ganze Jahr futtere ich sowas nicht. Hier in Biel haue ich mir dieses Zeug an jedem VP rein, ich bin gierig auf diese Zeug, grapsche danach und  drücke die Früchte wie einen goldenen Schatz an mein Hemd, dass die Soße mir über die regennassen Beine fließt, und mir die Fetzen des Fruchtfleisches den Schriftzug von m4y verdecken.

Arch, wo die Aare erreicht wird, das Wasser der Aare braucht für die Strecke Biel-Koblenz übrigens rund zwei Tage. Ich wohl auch. Doch hier gibt es eiskaltes Bier am Kiosk. Wie gut, wenn man die Strecke kennt. Boah wie geil ist das Laufen! Mannmannmann! Ich sammele jetzt so viele Läufer ein, ich bin laufgeil, ich habe Testerosteron, oder wie das Zeug heisst!

10 km entlang bis Büren. Wer hier wohnt, der hat es geschafft, Klasse Gegend! Das Wahrzeichen von Büren, die alte Holzbrücke (1275 gebaut). Es ist allerdings die 9te Holzbrücke. Nachdem die Vorgängebrücke (die 8te)  1989 einem Brandanschlag zum Oper fiel. Schon  1798 brannte die Brücke, als die Bevölkerung in Angst vor Napoleons Truppen die Brücke in Brand steckte. Fotos im Regennebel.

Jetzt beginnt die neue Streckenführung, immer an der Aare lang, nicht mehr diese üblen, kleinen Steigungen, einfach nur langweilig am Fluss entlang, aber gut, denn ich will ja laufen, keine Sightseeingtour machen. Ja, so ist Biel. Ein nächtlicher Tunnel, ein ewig langer Traum. Und diesmal im Regen, im Starkregen. 100 Kilometer sind lang, aber 10 Kilometer sind eine Weltreise. Und was jetzt von oben kommt, ist ein Tsunami, aber mir ist das egal. Klatschnass und auf dem Weg zu meinem persönlichen Sieg.

Auch ich habe Grenzen in den Worten. Und was ich in der letzen Nacht erlebt habe, das ist nicht fassbar.Es ist schon für die meisten Menschen unfassbar, das man 100 Kilometer läuft.

Aber all das Erlebte, die Qual, die Folter von oben, diese ewig lange Zeit, die für mich bei  12:28 Uhr  stehen bleibt....das sind meine Erinnerungen, mein Water-1oo, das ist mir, Worte können niemals solche tiefen Gefühle, heroische Gedanken wiedergeben, so ein Lauf ist ein Ding zwischen mir und mir. Niemals kann ein Außenstehender fühlen, was in dieser Nacht geschah. Niemals könnte jemand davon erzählen. Ein dunkler, nasser Schleier der Nacht liegt über dem Geschehenen. Und wäre ich ein Kohlsuppenesser und ihr die Außerirdischen, ja dann …..

Der Zieleinlauf ist unspektakulär. Wen interessiert es auch schon, dass der Joe im ströhmenden Regen hier ankommt.Und würde meine eigene Oma hier reinlaufen, bei diesem Sauwetter würde ich keinen Fuss vor die Tür setzen.

Zwei, drei Bier für die Rekonvaleszenz, ein Nickerchen im Kofferraum und weiter geht es zum Marathon du Vignoble d Àlsace, morgen früh um 7:30 ist Start.

Siegerliste

100 km


Männer
1. Jenni Walter, Oberwil b. Büren            7:11.54,7     
2. Girardet David, Belfaux                   7:23.37,9    
3. Thallinger Rolf, Burgdorf                 7:38.03,3    

Frauen
1. Sommer Daniela, Sempach Stadt             8:10.58,9    
2. Werthmüller Gabriele, Zuchwil             8:36.09,6 
3. Balz Deborah,Grub SG                     8:50.11,3

1051 Finisher

 

Nachtmarathon / 34,7km

 

Männer

1. Puls Klaas,  Zofingen                      2:13.38,2
2. Termite Massimo,  I-Monopoli (BA)          2:23.12,1 
3. Brändle Beat,  Romanshorn                  2:23.40,5

Frauen                 

1. Dysli Caroline, Diessbach b. Büren        2:49.14,6 
2. Odermatt Beatrice,  Eich                   2:53.34,6 
3. Mazenauer Daniela,  Oberbözberg            2:55.46,8 

12
 
 

Informationen: Bieler Lauftage
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