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Laufberichte

Irgendwann ist jetzt

12.06.10

Vor fünfzehn Jahren fasste ich den Entschluss, mit dem Sport ernst zu machen und mit dem Laufsport zu beginnen. Es war die Mischung aus Verlangen und Vernunft, die mich dazu brachte. Das Verlangen, der schwindenden Jugendlichkeit etwas entgegenzusetzen, und die Vernunft, regelmäßig etwas für meine Gesundheit zu tun. Warum die Wahl auf das Laufen fiel? Es war die Sportart, welche ich praktisch an jedem Ort der Welt ausüben konnte - auch wenn es nur auf einem Laufband war – und für die ich wenig Ausrüstung dabei haben musste, was für einen Weltreisenden nicht unbedeutend ist.

Wenn ich in den Anfangszeiten völlig ausgepumpt von einer Laufrunde mit einstelliger Kilometerzahl zurückkam und an Marathonläufer dachte, hatte ich das Bild von knallharten Asketen vor mir, die Wahnsinniges vollbringen. Diejenigen, die den Marathon nur zum Aufwärmen brauchen und 100km-Läufe angehen, erschienen mir schon fast wie Überirdische. Zu jenem Zeitpunkt konnte ich mir einfach nicht vorstellen, wie man eine solche Strecke bewältigen und dabei noch Spaß empfinden kann. Vielleicht hat mich diese Sicht der Dinge davor bewahrt, einen Blödsinn zu machen und ohne seriöse Vorbereitung eine solche Leistung reißen zu wollen.

Fünf Jahre dauerte es, bis mich ein Kumpel zur Anmeldung für meinen ersten Marathon überreden konnte, und fünf Tage dauerte es nach dem ersten Marathon, bis ich wieder halbwegs normal gehen konnte. Dies war mir aber Ansporn genug dranzubleiben. Irgendwann würde ich auf den Punkt kommen, dass ich nach 42,195 km ohne Beschwerden vom Platz gehen kann. Als ich das schaffte, wusste ich, dass ich irgendwann einen Ultra in Angriff nehmen würde. Mit viel Respekt wagte ich mich acht Jahre nach meinem ersten Marathon erstmals am Swissalpine über eine längere Distanz. Mit dem Resultat, dass ich die Überzeugung gewann, irgendwann auch die höheren Weihen des Ultraläufers erreichen und den Hunderter von Biel ins Ziel bringen zu können. Nicht als Überirdischer, sondern als durchschnittlicher, begeisterter Läufer, dessen Antrieb mittlerweile fast ausschließlich das Verlangen zu laufen ist.

Irgendwann ist jetzt. Ich will es endlich wissen und fahre nach Biel. Das Hindernis, dass der Start an einem Freitagabend ist und ich eigentlich nicht früher von der Arbeit weg kann, räumt mir der Boss verständnisvollerweise aus dem Weg. In solchen Fällen ist es außerordentlich hilfreich, wenn der Boss als ehemaliges Mitglied des Tennis-Nationalkaders eine Vergangenheit im Spitzensport hat. Auf diese Weise kann ich nach dem Mittagessen eine Mütze voll Schlaf nehmen, bevor ich mit dem im Startpaket inbegriffenen Halbpreisgutschein mit der Bahn in die größte zweisprachige Stadt der Schweiz fahre.

Im Gepäck habe ich Ehrfurcht und ein ungewisses Gefühl. Reichen die in der Vorbereitung gesammelten Kilometer? Waren es vielleicht doch zu wenig? Gut, ganz untrainiert bin ich nicht, da habe ich doch schon den einen und anderen Marathon in diesem Jahr reingezogen. Das sollte schon hinhauen.

Ich stelle mich darauf ein, dass die große Arbeit auf diesen hundert Kilometern nicht in den Muskeln stattfinden wird. Der Kampf wird in mir entschieden. Es geht um des Menschen besten Freund. Nicht der, welcher am Abend jeweils an der Leine mit mir auf eine Laufrunde kommt. Zähmen muss ich denjenigen in mir. Der mit Ringelschwanz und Steckdosen-Nase, steter Widersacher des Sportlers und sich als Lustförderer ausgebender Spaßkiller. Ich habe aber einen Plan, eine feste Absicht und die Entschlossenheit, dieses Biest in Ketten zu legen und zu zähmen. Irgendwann wird es winseln, fiepen, jaulen, heulen und bellen, vielleicht sogar versuchen zu beißen. Nein, bis hierher habe ich die Oberhand über ihn behalten. So soll es auch bleiben.

Im Bus vom Bahnhof Biel zur Eishalle – freie Fahrt auf dem Netz der Bieler Verkehrsbetriebe gehört auch zum Startpaket – komme ich mit zwei weiteren Läufern aus Deutschland ins Gespräch. Hauke kennt sich aus und zeigt uns gleich die kurzen Wege zur Marathonmesse und Starnummernausgabe. Er ist nicht nur ein sehr sympathischer, freundlicher Läufer, sondern wie ich später feststellen werde auch ein sehr schneller. Nach dem dritten Platz in seiner Altersklasse im vergangenen Jahr, wird er diesmal - mit einer Verbesserung seiner Zeit um nahezu eine Viertelstunde - als Klassensieger einlaufen.

Während ich mich beim Blick auf einige Angemeldete bei manchen Marathons frage, ob sie sich hierhin verirrt haben oder das Abholen der Startunterlagen ein gut überlegter Willensakt ist, fühle ich mich in der Eishalle von entschlossenen Gesichtern umgeben, deren Körper zeigen, dass nicht nur der Geist willig ist.

In den drei verbleibenden Stunden bis zum Start mag ich gar nicht an die vor mir liegenden hundert Kilometer denken. Ich versuche mich abzulenken, was mir auch gut gelingt, denn ich treffe so viele Laufbekanntschaften. Bezeichnenderweise kenne ich mehr Deutsche als Schweizer, immerhin kommt die Hälfte der Teilnehmer aus Deutschland.

Eine andere Ablenkung ist die medizinische Studie, für welche ich mich im Vorfeld als Proband zur Verfügung gestellt habe. Unter der Leitung von PD Dr. med. Beat Knechtle, einem mit allen Ultra-Wassern gewaschener Triathlet, wird untersucht, in welchem Maße das Hormon Vassopressin für die bei Ultraläufern unter Extrembelastungen festgestellten Flüssigkeitsretention verantwortlich ist, welche zu einer zu geringen Natriumkonzentration (Hyponatriämie) im Blut führt.

Bis ich in den Becher gepinkelt habe, das Blut entnommen und alle weiteren Daten gesammelt sind, bin ich weiter abgelenkt. Trotzdem nehmen es die Uhrzeiger unsäglich gemütlich. Ich möchte loslegen und begebe mich auf der Suche nach der m4y-Armada in die Nähe des Startbereichs. Kaum bin ich dort, treffe ich Markus und Wolfgang, die beiden anderen 100km-Greenhorns der Reporterfraktion, und Klaus, schwer behängt mit fotografischen Gerätschaften. Der Anton wurde zuvor schon gesichtet, fehlt uns aber für das Gruppenbild. Dafür stößt der Joe gleich noch zu uns, was diesem Schnappschuss noch etwas Gewicht verleiht.

 
 

Informationen: Bieler Lauftage
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