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Laufberichte

Einmal musst du richtig frieren

10.06.06

Keine Erfolgsgeschichte ...


Es ist 5 Uhr morgens und ich setze mich auf dem Asphalt, ich will nicht mehr weiter und bin völlig am Ende.

 

"Hörst du die Frösche?" fragt Walti. Ob ich die Frösche höre??? Diese Viecher sind ja nicht zu überhören, aber Herrgott, die FRÖSCHE sind mir sowas von EGAL. Von mir aus könnte es Frösche regnen und das wäre mir auch vollkommen wurscht!

 

Drehen wir die Uhr zurück, ca. 24 Stunden und ein paar mehr.

Ich habe mich mit Walti für Biel angemeldet, DEN Lauf, den jeder, der sich Ultraläufer schimpfen will, einmal laufen muss.Gepusht von den Berichten freue ich mich auf die Landschaft, die sicherlich unglaublich schön sein wird. Das Streckenprofil sehe ich mir auch an und weiss, das es einige Steigungen gibt (haha!!!).

 

Wenn ich ehrlich bin, gab es schon davor Anzeichen, dass das Schicksal mich vor diesem Lauf bewahren wollte (man könnte es auch Gott nennen) - ich verpasste den Flug am Donnerstag, weil ich die Ankunftszeit mit der Abflugzeit verwechselt hatte. Aber wie es will, hatte ich dann doch noch nen günstigen Flug für Freitagmorgen (gleiche Abflugzeit) bekommen. Den verpasste ich dann nicht.

 

Gleich beim Einchecken traf ich auf Affenzahn, ein versierter Ultraläufer, der nicht mehr trainiert - er läuft genügend Wettkämpfe. Dazu raucht er noch und macht auch keinen Hehl daraus. Eigentlich dürfte er nur 10 km-Läufe laufen dürfen, bei seiner Lunge - die Welt kann ungerecht sein...

 

Durch die Sicherheitskontrollen komme ich wie immer durch und den Flug von 55 Minuten überstehen wir auch ohne Probleme. Affenzahn und ich beschließen, als wir in Zürich ankommen, erstmal zu frühstücken. Es ist ja früh und die Kalorien verbrennen wir eh später.


Im "Sprüngli" setzen wir uns hin und quatschen über dies und jenes - ich empfinde ihn als sehr angenehmen Gesprächspartner (auch wenn er Raucher ist) - akzeptiert er doch, das ich sehr langsam bin und kommt nicht überheblich daher (in dem Bezug habe ich schon ganz anderes erlebt).

 

Jeder hat seine eigene Leistungsgrenze und es ist für einige schwierig, diese anzuerkennen. Ich habe bisher bei keinem 6 Stunden Marathon irgendwo bei BurgerKing gesessen und bin das Ding locker ins Ziel gelaufen. Doch die Bekanntschaften in letzter Zeit hatten mir gezeigt, dass es auch andere Leute gibt, die so was als unwürdig einstufen - ich muss nicht extra erwähnen, dass es sich um vorbeiziehende Bekanntschaften handelte.

 

Affenzahn ist im 100 Marathon Club (der einzige Club, der für mich der Richtige ist und ich hoffe, in vielleicht 10 Jahren mal einen Antrag stellen zu dürfen) und erzählt mir, das es andere Laufvereine gibt, die Läufer ausschließen, weil die zu langsam sind. (???).

 

Mit den Croissants und der netten Gesellschaft komme ich langsam zur Ruhe - ich genieße die Sonne und "tanke" sie auf, wie ein Auto - leider konnte ich sie nicht speichern. Das Schöne ist, mit der Zeit trifft man die selben Läufer immer wieder und ich freue mich dann besonders, mich dazugehörig fühlen zu können. Dann merke ich, dass meine Ansichten doch nicht so verquer sind. Aber ich weiß auch, dass ich mich im Rudel der "Verrückten" befinde und mich deshalb so schön normal fühle. Wie mir ein älterer Läufer nach Biel erzählte, sind die "Alten" die Schlimmsten...(glaub ich!)

 

Wir sitzen einige Zeit und quatschen ausnahmslos über Läufe, Lauftaktiken, Ansichten, etc. und natürlich über noch geplante Läufe in diesem Jahr. Der 24 Stunden Schenefeld Lauf lacht mich an, aber da befinde ich mich gerade in der Ausbildung und muss erst mal sehen, ob der Arbeitgeber da mitspielt. Man will ja nicht gleich aus der Rolle fallen. Das werde ich noch früh genug tun.

 

Gegen 11 Uhr gehen wir zurück zum Bahnhof und erwischen dort den Zug nach Biel. Jetzt dauert es noch eine Stunde und dann sind wir dort. Die Stadt der Städte, der Lauf der Läufe.

 

Am Bahnhof trennen sich unsere Wege, Affenzahn fährt zum Eisstadion und ich zur Unterkunft. Der Busfahrer ist so freundlich und sagt mir Bescheid, als ich aussteigen muss. Bei der Anmeldung zum Lauf bekommt man sofort ein Ticket für die Bieler Lauftage - das ist ungemein praktisch, ich habe keine Ahnung wie oft ich hin und her gefahren bin.

 

In der Unterkunft beziehe ich erstmal mein Bett. Das ist so ne Art Bunker, mit durchgehender Belüftung - ich kann verstehen, wenn das für einige zu zugig ist, aber ohne diese Luft würden wir nur im "Kabuff" liegen. Die Zimmer sind mit Doppelstockbetten belegt, ich habe die Bettenanzahl nicht gezählt, aber wenn ich 12 Betten (also 24) sage, wird das so in etwa hinkommen.

 

Ich hau mich erstmal gegen Mittag hin und kann noch etwas schlafen, bis ca.17 Uhr. Dann stehe ich auf und gehe etwas essen - habe ja schließlich dafür bezahlt. Dort setze ich mich an einen Tisch und komme unter anderem mit einer Läuferin ins Gespräch (die sollte ich später wieder treffen).Sie sei letztes Jahr bei Km 92 ausgestiegen, es ging bei ihr nicht mehr weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, wie weh (psychisch und physisch) das getan haben muss - so kurz vor dem Ziel. Doch der Körper macht die Gesetze - der Kopf kann stark sein, doch irgendwann ist Schluss und jegliches "weiterprügeln" kann dann zu schlimmen Verletzungen führen.

 

In meinem Kopf habe ich den Streckenplan und auch die Zeit, die ich etwa schaffen will - es sollte aber ganz anders kommen...

 

Dann ziehe ich mich um, klebe die Füße ab, so wie ich es immer mache... aber die Pflaster sind diesmal anders - das sollte mir noch Probleme bringen. Ich benutze mein Handy immer nur als Notfall und deshalb bin ich es auch nicht gewohnt, es mitzunehmen - Walti und Markus versuchen unterdessen, mich anzurufen, aber das Handy liegt ausgeschaltet im Rucksack (sorry).

 

Als ich fertig bin, mache ich mich auf - ich bin noch nicht wirklich aufgeregt, dafür ist die Strecke zu lang. Mit Markus hatte ich mich im Eisstadion verabredet, zur Startnummernausgabe, aber da ich viel später als verabredet ankomme, hole ich erstmal meine Startnummer mit dem Chip ab und schreibe noch eine sms, dass ich endlich da bin.

 

Dann gehe ich zum Zeltplatz und treffe auf Affenzahn und andere 100 MC Mitglieder. Auch ein Hans, allgemein als Powerschnecke bekannt, gibt sich die Ehre - weist aber alle Nicknamen von sich - also war es nicht die Powerschnecke. Dann gehe ich zu der Haltestelle und dort steht Markus, der auf Walti wartet.

 

Walti, allgemein als mein Laufbegleiter für diesen Ultralauf bekannt, hatte auch so seine Probleme. Bis zuletzt war es unsicher, ob er überhaupt starten konnte und er hat mir mindestens eine schlaflose Nacht bereitet. Zum Schluss erreichte mich eine sms (als ich in Biel war) mit einer schlechten Nachricht und ich war sehr besorgt.

 

Wie er dennoch dort hin gekommen ist, rechne ich ihm sehr hoch an, das war sicher nicht leicht für ihn und ich bin noch immer sehr dankbar (mein Gott, die Rührung bricht wieder durch), das er mit mir mitgekommen ist.

 

Markus und ich warteten also auf Walti und auf den Bus, mit dem er kommen sollte - bis Walti schließlich aus dem Eisstadion auftauchte und sagte, dass er schon einige Zeit dort war. Man schüttelt sich zum ersten Mal die Hand und ich gehe mit Walti und Markus zum Fresszelt (auch Verpflegungszelt) genannt, weil Walti noch nix gegessen hat. Dort schießen wir auch das erste "Beweisfoto."

 

Auf dem Weg dorthin läuft uns auch Roland über den Weg, der mir schon vorhin in die Augen geschaut hat. Da Roland aber nicht seinen Zebradress getragen hatte, bin ich einfach weitergelaufen (ich hab doch gesagt "sprecht mich an" ich kann schlecht Leute erkennen, zumindest beim ersten Mal). Bei Roland habe ich auch sofort das Gefühl, dass er mir sehr sympathisch ist - das mag blöd klingen, aber ich habe bei diesem Lauf so viele Leute getroffen, mit denen man sich im Forum unterhalten hat. Sich in real die Hände zu schütteln, ist doch was anderes und böse Überraschungen habe ich immer wieder erlebt. Hat gar nicht so sehr mit laufen zu tun, aber manche Menschen verstellen sich im virtuellen Leben und dann erlebt man eine herbe Enttäuschung, wenn man sich trifft.

 

Roland wünscht mir Glück, falls man sich nicht wieder sieht - wie, Roland, es sind noch ein paar Stunden bis zum Start, du entwischt mir nicht so leicht. Nachdem Walti sich mit den obligatorischen Spaghettis aufgetankt hat, gehen wir zurück zum Zeltplatz, wo Roland sich mit seinem gelben Auto, das wie ein Postauto aussieht, aber keins ist, eingerichtet hat.

 

Die Sonne scheint und ich ernte Erstaunen, als ich meine Kamera aus dem Rucksack nehme "Mit DEM Eumel willst du laufen???" Klaro, schließlich bekommt man nicht oft die Gelegenheit, so viele bekannte Gesichter auf den Chip zu bannen. Vielleicht hatte ich schon da die Vorahnung, dass Biel mein erster und letzter Besuch sein wird.

 

Und mit was kann man sich besser die Zeit vertreiben, als mit Fotos knipsen?

 


Dann wars das erstmal mit den Fotos - es werden zwar noch ein paar folgen, aber später - vieeeel später. Die Zeit vergeht doch rasch und wir begeben uns zum Start, es fehlen noch einige Hände zum schütteln und ich halte Ausschau. Die Lautsprecher am Start dröhnen und der Sprecher faselt irgendwas Unverständliches. Ich versuche abzuschalten, halte aber noch immer meine Augen offen und plötzlich von der Seite spricht mich jemand an.

 

Es ist Heiko, der die ganze Zeit nach einem K-Shirt gesucht hatte - da dieses Shirt aber nur aus Baumwolle besteht, habe ich es nicht angezogen. Wir wünschen uns Glück und ich versuche, Walti im Gewimmel nicht zu verlieren.

 

Dann kann ich auch endlich Bernhard Sesterheim die Hand schütteln, ein Läufer, der mich sehr beeindruckt hat und dessen Berichte sehr, sehr lesbar sind. Bernhard ist bekannt, so wird er immer wieder unterbrochen und schüttelt auch Hände. Er gibt mir Tipps (dass ich am Berg gehen sollte), die ich sicher umsetzen will. Auch soll ich dem Teufelchen nicht nachgeben - das habe ich auch nicht vor. Aber dann wurde es doch ganz anders …

 

Der Sprecher nervt, dieses Geblahe hätte man auch etwas leiser schalten können - so warten wir sehnlichst den Start ab und als auf französisch runtergezählt wird, wissen wir, es ist soweit: wir starten!

 

Die ersten Kilometer geht es durch die Stadt und ich muss Walti etwas bremsen. Die Zuschauer feuern uns mit "Hopp, Hopp" –Rufen an, die mir schon bald aus den Ohren kommen. Beinahe wären wir über eine Verkehrsinsel gestolpert, die direkt vor uns sich aufhügelt. In der Stadt ist es warm und ich öffne mein Longshirt so, dass etwas Luft reinströmt - ich freue mich auf die Nacht und dass wir bald aus Biel rauskommen. Die Stille wird uns sicher gut tun, denke ich.

 

Der erste "Hügel" kommt und Walti und ich marschieren flott diesen hoch - das ist übrigens unsere vereinbarte Taktik geworden, marschieren und nicht laufen - schon das verlangt Kräfte von mir ab, die ich eigentlich sparen wollte. Alle vor und hinter uns marschieren auch. Wir gehen mit einem Läufer gemeinsam nach oben, aber ein Wort haben wir nie gewechselt. Dann tauchen die ersten Marathonläufer auf und die beklatschen wir ordentlich. Schon Wahnsinn, wie sie diese Steigung nach oben rennen!

 

Irgendwann gehts wieder nach unten und das auch richtig ordentlich. Ich bremse mich aber nicht ab, sondern lasse es rollen, so habe ich meine Oberschenkel nicht strapaziert (toi toi toi!!!). Zu diesem Zeitpunkt spüre ich so was wie Freude, es rollt gut und ich freue mich auf die stadtlose Strecke. Dann sind wir draußen und nun geht’s gerade entlang...das, was mir sehr früh aus dem Halse hängen wird.

 

Ich weiß, es existieren viele frenetisch geschriebene Berichte, aber ich kann nur schreiben, was ich selbst erlebt habe - und frenetische Dinge waren nicht dabei.

 

Der Chip am Schuh drückt. Warum drückt er, er hat doch noch nie gedrückt??? Das nervt mich schon jetzt und viel zu früh. Muss ich mich in eine Art meditativen Zustand begeben, damit das Gedrücke mir nicht den letzten Nerv raubt?

 

Ein Licht kommt uns entgegen, es sind die Ersten, die aufgegeben haben und nun zum Verpflegungspunkt zurückgehen. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken, diese Gerade ist ätzend. Irgendwann auf dieser Geraden hören wir bald ein "Hallöchen" und David taucht mit Birgit auf. Den beiden geht’s genau so, so wie es mir gehen sollte - keine Probleme und frisch sind die beiden auch.

 

Zum Drücken hat sich nun die muskuläre Verspannung am Oberschenkel gemeldet. Aber das kenne ich ja schon, ist nicht so schlimm - aber was neu ist und eigentlich total überflüssig: das Pflaster, das eigentlich dazu da ist, Blasen zu verhindern, ist an einer Ecke lose und scheuert mich jetzt mit einer unglaublichen Beständigkeit wund.

 

Zum Ausrasten ist das alles. Walti und ich erreichen Km 15, ihm gehts auch nicht gut, wir trumpfen uns gegenseitig hoch, was uns alles weh tut. Ehrlich, ich hätte einen Knacks wegbekommen, wenn er mir gesagt hätte, das es ihm gut geht. Natürlich freue ich mich nicht, dass er Schmerzen hat, aber so fühle ich mich verstanden. Was für eine verquere Logik, aber sie funktioniert.

 

Eine Soldatin mit Marschgepäck überholt uns und ich bewundere sie - wir haben einige Soldaten gesehen, die richtig flott marschiert sind. Langsam gehen wir zwar auch nicht, aber die sind halt noch schneller und dann tragen die auch noch einen 10 Kg Rucksack mit sich - Wahnsinn!

 

Der Mond scheint hell, so dass die Stirnlampe zumindest zu diesem Zeitpunkt überflüssig ist. Dass einige sie dennoch angeschaltet haben, kann ich nicht verstehen. Dieses grelle Licht raubt doch jeden Nerv und die Löcher sieht man damit gar nicht. Immer wenn so ein grelles Licht auftaucht, drehe ich mich weg, damit meine Augen gar nicht daran gewöhnt werden - es dauert seine Zeit, bis die Augen im Dunkeln sich zurechtfinden.

 

Einige schnelle Marathonflitzer boxen sich durch die Läuferschar, das macht mich etwas aggressiv, da ich es nicht verstehen kann, wenn man in Dreier-Reihen sich noch Platz verschaffen muss - wie wäre es mal in einer 1er Reihe?

 

Dann kommen wir in den Ort Aarberg rein und zu dieser supertollen, magischen Brücke. Dort steht aber kein Publikum mehr, sondern nur noch ein paar Betrunkene, die mit ihren Sprüchen auch nicht mehr geizen. Kurz danach passieren wir einen Verpflegungspunkt, wo es Brot gibt, das ich mich reinstopfe, um irgendetwas zu bekommen. Bananen gibt’s auch, aber ehrlich, die kann ich nicht mehr sehen.

 

An einem Zaun halte ich schließlich an und ziehe mir den linken Schuh aus - es reicht mit diesem Gescheuere! Zum Glück habe ich Pflaster mit und ich reiß mir den Pflastermüll vom Fuß, um ihn daraufhin großflächig mit neuen Pflastern zu bekleben. Jetzt geht’s besser, es drückt nur noch stumpf und brennt nicht mehr. Wie wir diesen Lauf schaffen sollen, ist mir zu diesem Zeitpunkt schleierhaft.

 

Aber ans Aufgeben denke ich noch lange nicht. Walti beklagt auch, dass sich bei ihm Blasen bilden - muss er mir alles nachmachen? Irgendwann meint er, wie es denn wäre, wenn er aussteigen würde. Ob der andere weiter läuft? Ich weiß, was er damit erreichen will und  ersticke das pessimistische Denken mit "Es gibt das Wenn gar nicht!" im Keim.

 

In mir kommen jedoch auch Zweifel langsam auf. Kurz vor dem Wäldchen müssen wir beide pinkeln und ich latsche direkt in ein Brennesselfeld rein - schnell raus da und weiter suchen, bis ich die geeignete Stelle finde und mich erleichtere. Fast zeitgleich kommen wir auf die Strecke zurück – so was nennt man Timing!

 

Dann geht’s weiter, immer zügig und flott, raus aus dem Ort und rein ins Wäldchen, wo es stockdunkel ist und ich sehr froh bin, nicht alleine zu laufen und dass mein Laufpartner eine Stirnlampe hat. Auch wenn wir so langsam unterwegs sind, ich komme nicht umhin, ein Beweisfoto zu schießen von uns beiden.

 

Das Lächeln ist mir vergangen, dafür tut mir zuviel weh ... Walti habe ich quasi im Dunkeln fotografiert, da die Stirnlampe zuviel geblendet hätte.

 

Im Wäldchen verfallen wir auch wieder in den Laufschritt, weil uns kalt ist - das geht so ca. 2 min gut und dann gehen wir wieder, wo sind all die Körner hin? Wir lauschen, denn andere Läufer können wir nicht sehen - aber hören können wir Stöcke, als muss jemand vor uns sein. Wenn ich mir vorstelle, hier in der Dunkelheit alleine zu laufen.

 

Plötzlich bekomme ich Hunger und kein Verpflegungsposten weit und breit - aber auch hier ist Walti die Rettung in Person, denn er gibt mir einen Powerbar Riegel, den ich sofort aufesse - das tut gut!!!

 

Dann gehts rein nach Lyss. Schade, ich hab das Wäldchen gern gemocht, ansonsten bietet die Strecke nicht viel Abwechslung und die fehlenden Kilometer-Schilder machen es mir im Nachhinein schwer, mich zu erinnern, wo wir was erlebt haben. Lyss sieht hübsch aus - das ist schon alles, was ich zu der Stadt sagen kann. Ansonsten, auch hier viele Betrunkene, die uns mit „Hopp, Hopp“ zu einem Sprint anfeuern wollen. Aber keine Kohlen, kein Feuer.

 

Kurz nach Ammerzwil erreichen wir nun schon deutlich kälter einen Verpflegungsposten mit Sanistation und wir entscheiden uns, eine kleine Pause einzulegen, in der wir uns drinnen etwas aufwärmen. Ich schnappe mir viele Riegel und Müslibrocken, dazu etwas Wasser und stopfe mir das Zeug so nacheinander rein.

 

Walti lässt unterdessen seinen Fuß verarzten. Es muss schlimm aussehen, denn ich schaue mir die Sanitäter an und die verziehen alle das Gesicht. Etwas Brühe trinke ich auch, aber die ist mir doch zu sehr gewürzt und besonders warm ist sie auch nicht mehr. Wir gehen weiter, frieren zwar, aber wir bewegen uns vorwärts.

 

Mitten im Feld bekleb ich meine Hüfte mit 2 ABC Wärmepflastern, denn ich fange an, steif zu werden - von den Schmerzen will ich gar nicht reden. Wir machen Witze und meinen, dass ein ABC Ganzkörperanzug wirklich super für uns wäre. Es wird immer kälter.

 

Die Bergauf Passagen kann ich nicht mehr so schnell hochgehen wie zu Anfang. Walti redet und ich kann nur japsend antworten. Er merkt schnell, dass ich dazu nicht mehr die Kraft habe, aber er erzählt mir auch nicht gerade seinen Werdegang, so dass wir beide schweigend die Steigung nehmen.

 

Ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass es schlimmer werden würde. Aber es wurde immer kälter und ich merkte, dass mein Körper die Energie zum Heizen nicht mehr aufbringen konnte. Noch ging’s auf Sparflamme, aber dennoch wurde es schwer. Das Leiden wurde nun stärker, während der "Genuss" irgendwo auf der Strecke blieb. Ich weiß nicht mal, wo es passierte, aber es war, als hätte man in meinem Körper einen Hebel umgelegt auf "Off".

 

Nachdem wir Km 30 passierten und den Schmach mit den Marathonschildern über uns ergehen lassen mussten, die früher vor unseren kamen, war es nur noch eine Frage, ob wir bei Km 38 rausgehen oder bei 56. So weit war es schon gekommen. Aber es sollte noch schlimmer kommen.

 

Bei Scheunenberg beschlossen wir, uns kurz hinzusetzen und uns mit Decken aufzuwärmen - leider hatten die dort keinen Raum und wir mussten uns in der Kälte hinsetzen. 5 Minuten saß ich dann mit der Decke dort, dann standen wir wieder auf, tranken noch etwas eiskaltes Wasser (!)) und gingen weiter.

 

Es war der schlimmste Fehler von allen Fehlern, die gemacht wurden, dass wir weitergingen. Denn nun heizte der Körper gar nicht mehr und ich schlotterte mich den Weg entlang. Vollkommen steif schleppten wir uns voran. Zwischendurch heulte ich und Walti nahm mich in den Arm. Der Genuss war tot.

 

Als ich einen Teich am Wegesrand sah, steuerte ich darauf zu, wollte mich ertränken. Beim ersten Teich hielt Walti mich noch davon ab, beim zweiten wollte er es mir gleichtun. Wie verzweifelt muss der Mensch sein, das er an ein fremdes Haus klopft und ruft, um eingelassen zu werden? Bei zwei Häusern haben wir es probiert, aber niemand machte auf und so mussten wir weiter gehen.

 

Weiter, immer weiter...diese Geraden...diese langweiligen, ätzenden Geraden. Ich glaube, da fange ich an, Biel richtig zu hassen. Ich empfinde da keine Magie, Biel ist nur ein profitgeiler Lauf, das Shirt, das im Preis enthalten ist, bekommt man nur, wenn man gefinisht hat.

 

Die Verpflegungsstände sind viel zu weit auseinander, für langsame Läufer eine Qual. Landschaftlich reizvoll? Das ich nicht lache. Ich kann hier in Deutschland auch auf Asphaltstrassen gerade entlanglaufen. Das musste einfach mal raus!

 

Voller Verzweiflung schmeiße ich mich auf den Asphalt, mein Körper braucht eine Pause, meine Glieder sind steif, der Rücken schreit vor Schmerz, die Hüften auch und mein Bein macht im Chor mit. Walti steht vor mir und ist auch fertig. Er hat starke Schmerzen im Oberschenkel, ich fühle mich schuldig, weil ich ihn zu diesem Lauf quasi "eingeladen" habe.

 

Ein. zwei Sanitätswagen fahren durch und einmal rast auch der Besenwagen an uns vorbei, Walti meint im Scherz, dass er uns übersehen hat.

 

Und nun sind wir an der Froschstelle angekommen.

 

Die Mücken quälen Walti, mich haben sie kein einziges Mal gestochen und ich glaube, Walti hat die nur erfunden, um eine Ausrede für das Aussteigen zu haben. Wir wollten nur noch den nächsten Checkpoint erreichen, da kommt uns der Besenwagen wieder entgegen, dreht, um schließlich bei uns zu halten.

 

Das Fenster wird heruntergekurbelt und ich meine, dass Walti schon automatisch darauf zusteuert, während ich was von "wollen nur noch den nächsten Checkpoint erreichen" stammele. Aber die Beifahrerin schüttelt den Kopf und meint, dass wir das im Zeitlimit nicht mehr schaffen. Sie steigt aus und wir klettern in das Fahrzeug, in dem schon ein Läufer sitzt.

 

Jetzt, in dem Moment ist es, als wäre eine Klappe gefallen. Nun ist es amtlich - es ist vorbei und ich weine los, die Emotionen überschütten mich. Man reicht mir eine Decke und wir fahren los, um kurz darauf die nächsten Läufer einzusammeln. Ich umarme Walti, was bin ich froh, das er mit mir gekommen ist und wie dankbar bin ich, dass wir es so weit geschafft haben.

 

Im Wagen ist es warm - endlich. Zwischen den Heulpausen kann ich mit stammelnder Stimme reden, wie die Kälte uns quasi "aufgefressen" hat. Das hat sie im wahrsten Sinne des Wortes, denn als wir den Checkpoint erreichen und aussteigen, durchzuckt mich ein stechender Schmerz in der Wade und ich kann mein Bein nicht mehr durchstrecken.

 

Aus - vorbei. Ich humpel hinter Walti ins Restaurant, wo wir auf das Postauto (ein Bus) warten, das uns zurück nach Biel bringt. Er hat auch eine Zerrung im Oberschenkel erlitten. Insofern hat uns die Nacht wirklich unsere Grenzen aufgezeigt.

 

Noch immer kann ich mich nicht beruhigen, dafür war die Nacht und diese ganze Tortur, die Vergewaltigung des Körpers und der Psyche zu lang - die Tränen kommen hervor geschossen und ich rubbel meine Augenlider mit dem Funktionshemd wund. So kanns gehen.

 

Dann kommt das Postauto schon nach zehn Minuten und wir steigen ein.Wen sehen wir da? Die Läuferin mit ihrem Begleiter, der schon 20 mal Biel gefinisht hat. „Nein, ihr hier?" schallt es uns entgegen und wir setzen uns hin und reden erstmal über die schlimmste Nacht, die wir jemals erlebt haben.

 

Wenn ich sage, dass wir durch unsere eigene Eishölle gegangen sind, übertreibe ich sicher nicht. Zu erleben, wie der Körper plötzlich auf "Off" schaltet und man merkt, dass nicht mehr geheizt wird, ist nur grauenvoll.

 

Wenn Walti nicht gewesen wäre, ich hätte mich sicher am Wegrand hingelegt und es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich ne richtige Unterkühlung oder Schlimmeres bekommen hätte. Insofern war das wirklich kein Spaß - kein "Ach übertreibt mal nicht so!" - wir bezeugen unser Erlebtes!

 

Das Postauto fährt noch Kirchberg an und ich kann einen schnellen Blick auf den Ho Chi Minh Pfad werfen. Die ganze Zeit versuche ich, das linke Bein durchzustrecken, aber das kann ich nicht. Ein blauer Fleck an der Wade verkündet mir, dass da was gerissen ist. Und der Laufbegleiter von der Läuferin meinte zu uns: „Habt ihr die Frösche gehört?" In diesem Moment würde ich ihn am liebsten erwürgen. Aber ein Fahrrad ist zwischen uns. Nur Walti kann sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen. Die Frösche...

Wir hätten schon bei Km 25 in der Sanitätsstation aussteigen sollen. Dort habe ich doch Läufer auf den Liegen gesehen und dachte mir "dort könntest du jetzt auch liegen". Aber nein, immer weiter - bis der Körper sich so dagegen wehrt, dass es nicht mehr geht.

 

Im Bus ist es wieder kalt und ich warte  sehnlichst darauf, dass wir in Biel ankommen. Zeitweise kann ich die Läufer sehen und wir fahren plötzlich an Markus vorbei - er sieht uns und ich denke: „Oh mein Gott!". Walti zückt sein Handy und ruft Markus an. Im mobilen Zeitalter haben Läufer auch ihre Handys bei solchen Läufen dabei. Ihm geht’s gut, er sei müde, aber es sieht so aus, als ob er es diesmal schafft.

 

Ich freue mich mit ihm und muss schon wieder heulen. An diesem Tag bin ich sehr angreifbar - es ist, als ob die Kälte mein innerstes frei gefrostet hätte und nun liegen die wertvollen Stücke da und ich greif sie mir und muss sie von den äußeren Einflüssen schützen.

 

Als der Bus in Biel hält, verabreden Walti und ich, dass wir uns erstmal duschen und uns dann auf dem Zeltplatz wieder treffen um zu frühstücken. Das haben wir uns redlich verdient!

 

In der Unterkunft angekommen wechsel ich nur stumme Blicke mit den Betreuern, ich kann mein Bein noch immer nicht strecken und so humpel ich an ihnen vorbei - jegliche Erklärung kann ich mir sparen. Im Zimmer heule ich schon wieder, aber ein Läufer (oder Abbrecher) ist angekommen, und so verkneif ich mir das Gejammer, suche mein Waschzeug und gehe zur Dusche. Die ist auch etwas von der Unterkunft entfernt. Zumindest liegen Stufen vor mir. Und das dauert, bis ich sie alle genommen habe und in die Schule stapfe, wo ich mich unter die Dusche stelle und das Wasser auf meinen geschundenen Rücken prasseln lasse.

 

Die Füße sehen schlimm aus, ich verarzte sie aber erst richtig, als ich zu Hause ankomme. Beweisfotos gibts auch, doch die stelle ich nicht online.

 

Geduscht gehe ich zurück, ziehe mir meinen Jogginganzug mit einigen Stöhnern an und humpel Richtung Bus. Zurück auf dem Zeltplatz treffe ich Walti und setze mich zu ihm auf den Rasen. Er wartet auf Markus, der nur einige Minuten später ins Ziel läuft.

 

Ich bin stolz auf ihn, doch es kratzt auch wahnsinnig an der eigenen Psyche und ich will nur noch weg vom Ziel. So gehen wir beide zu Roland, der sich umzieht und der es verstehen kann, das wir enttäuscht sind. Ich gratuliere dir aber auch nochmal ganz herzlich zu dieser tollen Leistung! Es war schön, dich kennen zu lernen und ich bin mir sicher, dass wir uns irgendwann wieder sehen werden.

 

David kommt auch mit einer tollen Zeit ins Ziel, ich gratuliere hiermit ihm und seiner Begleiterin auch nochmals dazu! Es freut mich, das ich alle Läufer, die ich unbedingt sehen wollte, gesehen habe.

 

Dann fahren Walti und ich in die Stadt und setzen uns in ein gemütliches Restaurant - nach draußen, in die Sonne. Er lädt mich zum Frühstück ein und ich komme in den Genuss einer schweizerischen Spezialität, deren Namen ich schon wieder vergessen habe (Anm : Öpfelchüechli). Aber was er mir sagte war auch, das die Schweizer ganz normal reden und nur so tun, für die Ausländer...klaro.

 

Herzlich lachen wir über die Frösche, die Walti unbedingt erwähnen musste. Und er schwärmt mir von dem Baseler 24 Stundenlauf vor, so dass ich nicht anders kann, als zu sagen, dass wir ein Forumstreffen dort machen sollten.

 

Zu den Stundenläufen habe ich Walti übrigens auch gebracht, davor hätte er sich NIE vorstellen können, so was zu laufen. Aber so langweilig wie es klingt, diese Läufe sind es wirklich nicht. Und vor allem, man ist nie alleine. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre hier alleine gelaufen, ich wäre schon viel früher ausgestiegen!

 

So kratzt es zwar noch immer, dass ich nicht mal einen Marathon geschafft habe, aber auf der anderen Seite bin ich wahnsinnig froh, bei diesem Lauf einen Menschen an meiner Seite gehabt zu haben, von dem ich weiß, dass ich mich immer auf ihn verlassen kann.

 

Wir fahren Richtung Bahnhof und Walti nach Hause. In der Unterkunft lege ich mich hin, schlafe fast durch bis 19 Uhr - dann stehe ich auf und gehe zum Abendessen, um mich anschließend wieder hinzulegen. Gegen 0:29 wache ich auf und denke daran, das mein Streak geendet ist. 355 Tage habe ich es geschafft und nun ist es vorbei. Bis ich das verdaut habe, wird auch noch etwas Zeit vergehen.

 

Meine Entscheidung bereue ich dennoch nicht - sie war richtig, ich konnte nicht mal richtig gehen, da wäre laufen unmöglich gewesen. Am nächsten Tag packe ich meine Sachen und treffe an der Haltestelle auf eine Läuferin. Wir kommen etwas ins Quatschen und sie ist mir gleich sympathisch, da sie auch ausgestiegen ist.

 

Mit Heike gehe ich dann vor dem Bahnhof in ein Cafe, da sie noch etwas Zeit hat, bis sie sich mit der Mitfahrgelegenheit trifft und mein Flug sowieso erst abends um 21:25 geht. Sie hat Biel schon gefinisht und ist diesmal bei Km 30 ausgestiegen. Ich mag an ihr, dass sie mich ernst nimmt, als ich ihr sage, dass Biel nicht mehr auf meiner  „to Run" Liste steht. Dafür waren die Strecken einfach zu langweilig, die Verpflegungsstände zu weit weg und wie mit den Abbrechern umgegangen wurde, auch zu schäbig.

 

Der Traditionslauf Biel, der früher 24 Stunden das Ziel offen hatte und auf das Marschieren ausgelegt war, hat sich negativ entwickelt - gern gesehen werden nur noch die schnellen Läufer, die langsamen müssen sehen, wie sie zurechtkommen.

 

Ich habe mich entschieden, vorerst nur noch 24 Stundenläufe als Ultras zu laufen. Dort kann ich essen wann ich will - ich werde nie einen Hungerast erleiden oder eine Verletzung, weil die Wade zu kalt wird.

 

Heike und ich sitzen einige Zeit im Cafe und quatschen über diese und jene Läufe - ich versichere ihr, das ich ihr schreiben werde und würde mich freuen, wenn man sich bei einem 24er wieder treffen würde.

 

Kurz bevor ich in den Bahnhof gehe, noch zwei Beweisfotos.

 

 

Dann steige ich in den Zug mit dem Wunsch, meine Ruhe zu haben. Aber es setzt sich ein Läufer mir gegenüber und meint, ich hätte keine mentale Kraft gehabt, denn es war doch warm in der Nacht. In so einer Situation wiederhole ich mich so oft, bis mein Gegenüber aufhört zu versuchen, mich vom Gegenteil zu überzeugen.

 

Walti und ich habe uns beide eine Verletzung wegen dieser beschissenen Kälte zugezogen, also war es FÜR UNS zu kalt! Ich kriege echt die Krätze, wenn man das nicht akzeptieren will und mir dann mit überheblichen Sprüchen eine Schwäche anzudichten versucht. Bis Zürich quatschte er mich dann voll, aber dann hatte ich meine Ruhe, verstaute das Gepäck erstmal, so dass ich nur mit Tasche bewaffnet in der Stadt unterwegs war.

 

Bei einem Plätzchen ruhte ich mich etwas in der Sonne aus. Und als ich mich hinlegte, sah ich das. Balsam...

 

Informationen: Bieler Lauftage
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