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Laufberichte

Der Star ist das Team

20.01.07
Autor: Klaus Duwe

Der kleine Marathon in der großen Stadt

 

Meine Vorurteile gegen Rundenrennen habe ich längst abgelegt, dafür bin ich jetzt ein Freund solcher Marathonläufe „auf kleinem Raum“. Okay, 5 Kilometer sollte eine Runde schon haben. Der Berliner Team-Marathon erfüllt meine interne Mindestanforderung und überrascht mit vielen „Extras“. Da sind als erstes die Spielregeln. Es gewinnt nämlich nicht unbedingt der Erste, der durchs Ziel rennt. Für eine Platzierung in der Ergebnisliste ist zunächst einmal Voraussetzung, dass alle 3 Läuferinnen und/oder Läufer eines Teams die Strecke gemeinsam absolvieren. Die Zeit des Langsamsten des Teams entscheidet dann über den Rang.

 

Obwohl vom großen SCC veranstaltet, ist der Berliner Team-Marathon das geblieben, was er schon zu DDR-Zeiten war: eine kleine, familiäre, liebevoll und perfekt organisierte Veranstaltung. Den Charme dieser Zeit versprüht auch das „Veranstaltungszentrum“ in der Amelia-Earhart-Oberschule in der Köpenicker Landstraße (Bezirk Treptow-Köpenick). Der ausgehängten Starterliste entnimmt man seine Startnummer, die man dann am Tisch gegenüber in dreifacher Ausfertigung ausgehändigt bekommt.  In einem Nebenraum gibt es Frühstück, Getränke und Imbisse zu Preisen, da muss man schon zweimal hinsehen. Beispiele gefällig? 0,4 l Mineralwasser 0,30 €, Kuchen (selbst gebacken) 0,20 € und Bockwurst mit Kartoffelsalat (mmh!) 2,00 €

 

„Noch jemand da für 4:30?“ ruft Roland Winkler in den Raum. Der umtriebige Organisationschef stellt aus den kurz entschlossen angereisten Läuferinnen und Läufern neue Teams zusammen. Einzelläufer sind nämlich nicht zugelassen.

 

Das Problem haben wir nicht, wir sind gleich mit zwei Teams am Samstag früh mit dem Flieger aus Stuttgart angereist. Angelika Abel, Eberhard Ostertag und ich bilden Team 1. Obwohl Angelika den Alterschnitt erheblich drückt, kommen wir in die Sonderwertung „über 150 Jahre“ und nennen uns intern „Oldie-Team“ (sorry, Angelika). Klaus Neumann, Karlheinz Kobus und Marcel Heinig (kam mit dem Auto aus Cottbus) bilden Team 2, intern „Extreme-Team“. Was die drei mittlerweile abgehakt haben, ist nämlich anders nicht zu bezeichnen: Klaus unter anderem den Deutschlandlauf und den Spartathlon, Karlheinz den Spartathlon, Badwater und Australia Foot-Race und gerade im letzten Jahr hat Marcel den 10fachen Ironman bestanden.

 

Die Laufstrecke des Berliner Team-Marathon ist im Plänterwald, der in ein paar Gehminuten erreicht wird, in der Kiehnwerder Allee. Der Startplatz liegt einen Steinwurf vom Spreeufer entfernt. 61 Teams mit zusammen 183 Läuferinnen und Läufer bilden ein überschaubares Starterfeld. Das Thermometer zeigt frühlingshafte 11 Grad, Wind geht kaum, die Bedingungen sind also prächtig. Genau so ist auch die Stimmung, mir scheint, jeder kennt jeden.

 

Pünktlich um 12.00 Uhr fällt der Startschuss und los geht es auf die erste
von 8 ½ Runden auf dem 5 km-Kurs. Wir halten uns aus allen Positionskämpfen raus und bilden mit dem Team Heike Pawzik, Ruth Jäger, Irmgard Eggert (alles bekannte Ultraläuferinnen) eine attraktives Schlusslicht.

 


Nach knapp einem Kilometer sind wir am 45 Meter hohen Riesenrad des 1969 eröffneten „Kulturparks Plänterwald“, der mit seiner Ansammlung von Fahrgeschäften und Buden nichts anderes war, als eine „ständig geöffnete Kirmes“. Weil es aber der einzige Vergnügungspark der DDR war, kamen jährlich bis zu 1,7 Mio Menschen hier her. Nach der Wende ließ das Interesse der Bevölkerung an dem Park an der Spree kaum nach. Erst als „Besser-Wessis“ das Konzept änderten, mit Senatsbürgschaften zig Millionen in Achterbahnen, Wildwasserbahnen, Showbühnen und Westerndörfer investierten und die Preise kräftig anhoben, ging es mit dem dann Spreepark genannten Freizeitbetrieb bergab und 2001 kam es zur Insolvenz. Der Betreiber baute die attraktivsten Anlagen ab und verschwand mit ihnen und seiner Familie nach Südamerika. Seither verwahrlost das Gelände sichtlich.

 

Wir lassen das Elend hinter uns und laufen auf den Kontrollposten von Doris und Bernd Lippmann zu. Mit flotten Sprüchen übertönt Bernd noch die laute Musik, die aus seinem Kombi dringt. Doris checkt die Vollzähligkeit der Teams und hakt sie auf einer Liste ab. Rechts geht es auf einen etwas schmaleren Waldweg, den fleißige Helfer allen Ernstes perfekt sauber gefegt haben. Kein Ästchen und kein Blatt liegt auf dem Weg. Gleich wird es etwas matschig, aber auch das soll nach dem Willen der Helfer so nicht bleiben. Mit Schaufeln sind sie dabei, das Schlimmste beiseite zu räumen.

 

Links sehen wir durch die letzten Baumreihen des Waldes das 1909 erbaute Treptower Rathaus und an der Zufahrtstraße zum Spreepark schallt uns ein „herzlich willkommen am Kap der Guten Hoffnung“ entgegen. Gleich erreichen wir eine kleine Hafenanlage, wo vor der „Insel der Jugend“ sofort der „Klipper“ auffällt. Das festliegende Restaurantschiff kann in seinem ehemaligen Frachtraum und dem Roof (Wohnbereich der Schiffer) bis zu 90 Gäste unterbringen. Es versteht sich von selbst, dass Fischgerichte die Speisekarte dominieren. Schweinshaxen fehlen aber trotzdem nicht.

 

Wir laufen jetzt direkt am Spreeufer entlang und sehen links, ganz weit hinter dem Rummelsburger See den Fernsehturm. Frisch zugeschnittenes Holz und Berge von Ästen und Zweigen rechts und links des Weges sind letzte Spuren des Sturmes vor zwei Tagen, mehr konnte „Kyrill“ dem Plänterwald nicht anhaben. Nicht ganz so gut ist der neue Berliner Hauptbahnhof davon gekommen. Der Milliardenbau musste vorübergehend evakuiert werden.

 

Der dicke Rauch aus dem Schornstein des Zementwerkes am anderen Spreeufer lässt auf eine gute Bautätigkeit in der Hauptstadt schließen. Nicht ganz so erfreulich sieht es auf der anderen Seite der Laufstrecke aus, wo die Reste des Vergnügungsparks vor sich hin gammeln.

 

Das „Eierhäuschen“ hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Ende des 19. Jahrhunderts war es ein beliebtes Ausflugslokal und Schauplatz eines Kapitels in Theodor Fontanes „Der Stechlin“. Wie es zu dem Namen kam? Es gibt gleich zwei Theorien: nach der ersten soll der Wächter der Anlage nebenbei Eier an die Spreeschiffer verkauft haben. Die zweite besagt, dass es bei einem örtlichen Ruderwettbewerb als Preis einen Schock Eier (1 Schock = 5 Dutzend) zu gewinnen gab.

 

Gleich sind wir auf Höhe des Startplatzes und werden von ein paar Zuschauern lautstark empfangen. In der Rechtskurve zur Kiehnwerder Allee ist die einzige Verpflegungsstelle (mehr braucht kein Mensch) eingerichtet. Warmes und kaltes Wasser, Tee, Gebäck, Bananen und Schleim sind im Angebot. Zweihundert Meter weiter ist nach 32 Minuten die erste Runde dann zu Ende.

 

Mindestens zwei Teams sind immer in Sichtweite, unter ihnen auch das von Horst Preisler (läuft demnächst in Hamburg seinen 1500 Marathon). Selten kann ich beim Tempo des 72-jährigen mithalten. Heute passt es, weil er sich in den Dienst des Teams stellt. Am Streckenrand steht seine Weltrekord-Kollegin Siegrid Eichner, der es nach erfolgreicher Operation schon wieder in den Beinen kribbelt, sich aber zunächst noch auf das Zuschauen beschränkt. Auf Ali Schneider’s Weltreise will sie demnächst in Neuseeland aber wieder als Marathonläuferin unterwegs sein.

 

Kurz vor Ende der zweiten Runde überrundet uns das Trio vom RC Schloßbike Greiz, das den Wettbewerb auch gewinnen wird. Wir sind schon auf der dritten Runde, als und das Team vom LC Ron-Hill Berlin I überholt. So eilig, dass nicht Zeit für einen Gruß wäre, hat es aber keiner.

 

Auf 197 Jahre bringen es die Cottbuser Parkläufer Bodo Stecklina, Rolf Conrad und Günther Biallas. „Im nächsten Jahr sind wir zusammen 200, da sind wir wieder dabei“, kündigen sie an. Weil der Name „Oldie-Team“ schon von uns belegt ist, nenne ich sie „Krufti-Team“ und habe die Lacher auf meiner Seite.

 

„Wo ist Klaus?“ fragt Steffen am Kap der Guten Hoffnung, weil Angelika und Eberhard alleine auf seinen Posten zulaufen. „Der isch am Gnibbse,“ gibt ihm Eberhard bescheid. Als ich dann eintrudle, macht Elke wie schon die Runden zuvor ein Bild von mir. Damit wird mir klar, dass auch das eine Kontrollfunktion hat.

 

Die nächsten Runden vergehen wie im Flug. Zeitweise kommt sogar die Sonne raus. Ich merke schon lange, dass ich mich viel zu dick eingepackt habe. Eberhard (kurz) und Angelika (3/4) haben mit ihren Beinkleidern die bessere Wahl getroffen.

 

Bei der sechsten Runde bekommt die Begeisterung dann einen Dämpfer. Die Beine tun weh, es wird düster, der Marathon beginnt. Trotzdem ziehen wir unser Tempo ziemlich gleichmäßig durch und überholen ein Team nach dem anderen. Wir trauen unseren Augen nicht, als wir Klaus, Karlheinz und Marcel vom Team 2 (Extreme-Team) sehen. Marcel hat Probleme, ihm ist schlecht. Alles gute Zureden von Karlheinz nützt nichts, es geht nicht mehr, Marcel gibt auf. Wer ihn kennt weiß, dass er sich das nicht leicht gemacht hat. Gerade heute, wo es um die Teamwertung geht. Klaus und Karlheinz traben später alleine weiter.

 

Endlich, Runde acht. Noch einmal werden wir von Bernd und Doris mit fetziger Musik begrüßt, und gleich wieder verabschiedet: „Wir sehen uns bei der Siegerehrung.“ Tschüss sagen auch Steffen und Elke: „Ihr imponiert uns ungemein.“

 

Die Schlussetappe ist nur noch eine knappe halbe Runde. Kurz vor dem Ziel überholen wir  noch das 200-Jahre-Team vom 100 Marathon-Club mit Dr. Jürgen Kuhlmey, Hans-Joachim Meyer und Ekkehard Steuck. Gegen HaJo habe ich sonst nie eine Chance. Aber wie zuvor Horst Preisler stellt auch er sich heute ganz in den Dienst des Teams und weicht nicht von der Seite seines „schwächsten“ Läufers.

 

Nach 4:34 Stunden sind wir dann im Ziel. Ich hatte vergessen, dass ein 42 km-Lauf nicht nur Spaß, sondern auch Arbeit ist. Deshalb sind wir alle froh, dass jetzt Feierabend ist und keiner ist sauer, dass wir unseren internen Zeitplan knapp verfehlt haben.

 

Nach einer warmen Dusche in der Schwimmhalle im Baumschulenweg treffen wir uns dann alle wieder in der Schule zum Essen. Bockwurst, Kartoffelsalat und Bouletten schmecken vorzüglich. Die schon erwähnten Hammerpreise machen noch mehr Appetit. Dann geht’s zur Siegerehrung in die Turnhalle. Jedes Team wird aufgerufen und geehrt. Die ersten 29 Teams (für jedes Jahr Berliner Team-Marathon) bekommen Preise, den anderen bleibt die Erinnerungsurkunde.

 

Von den 61 gestarteten Teams kommen 54 in die Wertung. Wir belegen Platz 38 und in der „Oldie-Wertung“ Platz 9 (von 19 Teams). Ist das nix?

 

Mit der S-Bahn geht’s zum Flughafen Schönefeld und in der Nacht sind wir zurück in Stuttgart. Im nächsten Jahr wollen wir wieder dabei sein, weil der kleine Marathon in der großen Stadt einfach super ist.

 

Start- und Ziel:

Kiehnwerder Allee (Plänterwald),  Berlin-Treptow

 

Veranstaltungszentrum:

Amelia-Earhart-Oberschule, Köpenicker Landstraße

 

Logistik:

Parkplätze und S-Bahn-Station (Baumschulenweg) in unmittelbarer Nähe

 

Streckenbeschreibung:

Flacher 5 km-Rundkurs durch den Plänterwald und entlang der Spree. Teilweise Wald-, teilweise Teerwege.

 

Auszeichnung:

Urkunde

 

Zeitnahme:

Manuell

 

Andere Wettbewerbe:

5 km Fun-Run

 

Informationen: Berliner Team-Marathon
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