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Laufberichte

Berlinale mit Weltrekord zum 150ten

25.09.11
Autor: Joe Kelbel

Innsbrucker Platz, km 24, geht auf die Verkehrspolitik der fünfziger Jahre zurück. Hier war eh alles zerbombt. Der beeindruckend wuchernde Biergarten gehört zur Tag-und Nacht-Kaschemme „Joschi“. Ich odere mir ein „Erwachsenenbier“.  So nennt man hier einfach den Halbliterhumpen. Wieder Zuschauer, die nicht wissen, dass ein  Marathonläufer auch normale Bedürfnisse hat. Die denken, ich sei ein Außerirdischer, dabei bin ich einer von ihnen, stelle mich nun an die Laufstrecke, schaue mir das Leiden an und mache Fotos.

Kaisereiche, km 25,Wiesbadener Straße, Südwestkorso, Lentzeallee, km 27. 1885 belästigte ein Wildschwein die Gäste im Biergarten des Restaurants „Zur Waldschänke“. Der Wirt erschoß das Tier und nannte nun sein Restaurant „Zum Wilden Eber“. km 28,  Richtung Norden, ewig lang geht es die Rheinbabenalle entlang. In meiner 11jährigen Marathonkarriere habe ich noch nicht soviel Leiden gesehen. Selbst der Hitzemarathon in Freiburg Anfang des Jahres hat nicht soviele Leichen produziert. Ich finde dies sehr traurig, vor allem die Dänen und Brasilianer sowie die Läufer im Taucheranzug benötigen mehr Aufklärung, ein Marathon ist kein Jogging-Event!

Roseneck Platz,  Hohenzollerndamm, Kreuzkirche, Russisch Orthodoxe Kathedrale, Fehrbelliner Platz. 1675 erlangten die Brandenburg-Preußischen Truppen bei einem Rückzugsgefecht einen unerwarteten Sieg gegen die schwedischen Truppen. Einige Sagen ranken sich um diesen unbegreiflichen Sieg. So sollen sich ein halbes Jahr vorher fliegende Reiterheere über den Dächern von Berlin duelliert haben. So sagenhaft dies klingen mag, diese seltsame, übernatürliche Schlacht dauerte acht Tage, es gibt soviele Zeugen für dieses unerklärliche Phänomen, dass es wohl irgendwie wahr sein muss, denn es passte absolut auf die Schlacht von Fehrbellin. 

Von der Konstanzer Straße bei km 34 auf den Kurfürstendamm nach Osten. Eine Mutter füttert den Läufernachwuchs im Kinderwagen. Ich sehe das erste Mal ein entspanntes Gesicht an einer Verpflegungsstation., Auch wenn der Kleine die Hälfte aussabbert.

Gedächniskirche, die wohl renoviert wird, denn sie sieht aus wie ein Hochhaus. Tauentzienstraße. Auch Tauenzien war ein großartiger preussischer General. KaDeWe. Wittenbergplatz, Kleiststraße, alles Generäle, Nollendorfplatz, benannt nach Nollendorf (heute in Tschechien), Schauplatz einer der Befreiungskriege gegen Napoleon. Kommandierender General war Friedrich von Kleist.

Weiter auf der Bülowstraße, benannt nach General Wilhelm von Bülow, der wegen seiner Erfolge gegen Napoleon als Retter von Berlin gilt.

Schilder, auch blöde, gibt es an der Marathonstrecke genug. „ Der Schmerz geht, der Stolz bleibt“ - kann ich nicht mehr sehen. 2001 wurde Bernd Pötter mit folgendem Schild aus dem Rennen geholt: „ Beppo, dein Baby kommt“. Bei seiner Frau hatten die Wehen früher als erwartet eingesetzt. Solche Probleme habe ich nicht, aber ich schaue gerne links und rechts in die Zuschauermenge.

Potsdamer Straße, Potsdamer Platz, km 38, Leipziger Straße. Deutscher Dom, Schauspielhaus und Französischer Dom, unglaubliche Kulisse, welche Stadt hat so was? Nach der Märzrevolution 1848 wurden hier 183 Opfer aufgebahrt. Evangelischer, katholischer und jüdischer Gottesdienst, dann wurden sie auf dem Friedhof der Märzgefallenen begraben. Andere Zeiten damals.

Nach Norden auf die Strasse Unter den Linden. Bis 1948 fuhr hier die Trümmerbahn, die den Schutt des Weltkrieges entfernte.

Rechter Hand Checkpoint Charlie. Pariser Platz, Amerikanische Botschaft: Die Amis waren seit 1924 auf den Kauf des Palais Blücher für ein Botschaftsgebäude scharf. Doch 1931 brannte es ab, und die Finanzkrise von 1929, Machtergreifung der Braunen und Kriegsbeginn ließen nie einen Botschaftsbetrieb zu. Seit 1990 ist das Gelände, direkt am Brandenburger Tor, wieder der USA zugehörig, welch genialer Standort.

Durch das Brandenburger Tor zu laufen ist unbeschreiblich emotional. 1990, drei Tage vor der Wiedervereinigung, führte der Marathon das erste Mal durch das Brandenburger Tor. Damals noch von der anderen Richtung her, Start war am Charlottenburger Tor. Die 3,2 Kilometer bis zum Brandenburger Tor war für die 25.000 Starter wohl die schnellsten aller Zeiten, denn jeder wollte zuerst durchs Brandenburger Tor laufen. Hinter dem Tor gammel ich jetzt rum, schieße Fotos, genieße den Ort, genieße die Atmosphäre, die Zuschauer, die Großbildleinwand. Ich bin locker gelaufen, suche das Bad in der Menge, aber die ist abgetrennt. Laufe vor und zurück wie ein junger Hund, bin aufgeregt und glücklich. Mir ist, als hätte ich das Brandenburger Tor nur für mich allein.

Als Kaiser Napoleon 1806 nach Berlin kam, gefiel ihm die Siegesgöttin auf dem Brandenburger Tor so gut, dass er befahl, sie herunterzuholen und nach Paris zu schaffen. Dort hatte man sie aber noch nicht einmal ausgepackt, da kam Vater Blücher und nahm den Franzosen den Raub wieder ab. Er brachte die Siegesgöttin nach Berlin zurück und ließ sie wieder aufstellen, wo sie gestanden hatte. Eine weit verbreitete Sage meldet nun, früher hätte der Wagen so gestanden, dass die Siegesgöttin der Stadt Berlin den Rücken zuwandte. Weil das aber ein schlechtes Zeichen gewesen sei, habe der alte Blücher das Kunstwerk so aufstellen lassen, dass die Siegesgöttin in die Stadt hineinschaut.

Es ist hier der bewegenste Punkt des ganzen Marathons. Gleissende Sonne, schmerzverzerrte oder freudige Gesichter. Alles egal, wer hat mehr Lauffreude als der Pumukl? So liegen wir uns in den Armen, ordern beim Publikum Bier und feuern die Läufer auf den letzten 300 Metern an. Diese Kulisse mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund ist einmalig auf der Welt. Der Berlin-Marathon ist welt- und tränenbewegend.

Lieber Leser! Ich freue mich, wenn Ihr Euch im Bereich um die 5 Std auf meinen Bildern vor dem Brandenburger Tor findet. Es war ein weltweit einmaliger Marathon, ich hoffe Ihr hattet auch Euren Spass, Eure Berlinale und Euren Weltrekord. Wir sehen uns in Köln!

Siegerliste

 

Männer

1 Makau, Patrick (KEN) 02:03:38 (Weltrekord!)
2 Kwelio Chemlany, Stephen (KEN) 02:07:55
3 Kimaiyo, Edwin (KEN) 02:09:50

Frauen

1 Kiplagat, Florence (KEN) 02:19:44
2 Mikitenko, Irina (GER) 02:22:18
3 Radcliffe, Paula (GBR)02:23:46

32.997Finisher

123
 
 


 
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