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Laufberichte

Born to be wild

25.05.14

Walk on the wild side


Im menschenleeren Inselinneren beginnt eine grüne Landschaft mit Feldern und Weingärten. Kühe grasen auf saftigen Kuhweiden, vereinzelt auch unter Palmen. Ich frage mich, ob diese saftigen Wiesen der Grund dafür sind, dass die Kuhfladen so gigantisch sind. Zack – schon führt die Strecke ins Geräusch. Dunkler Zedernwald, meterhoher Farn, Bambus, Lorbeerbäume, Vogelgezwitscher. Gleich liegt das Dickicht hinter mir. Weiße Callas blühen wild am Wegesrand, sonst nur bei mir zuhause in der Blumenvase. Haushohe Hortensienhecken, die nur leider noch nicht blühen, säumen den schmalen Weg zum Vulkan der Insel und meinem persönlichen Etappenziel.

Gleichmäßig steigen die grünen Hänge zur großen Caldeira in der Inselmitte an. Mein Blick schweift über die grünen Steilhänge, den kleinen Anwesen der Farmer sowie den kleinen, aus Lavastein erbauten Steinmäuerchen am Wegesrand. Ich genieße diese Natur von unglaublicher Schönheit und Stille und bin gedanklich bereits Lichtjahre von Zuhause entfernt.

Nach zehn gelaufenen Kilometern schmecke ich die saftigen süßen Orangenspalten und die salzigen Nüsse an der Verpflegung. Höhe und Steigung dieses wahrhaft majestätischen Vulkans, der sanft aus dem blauen Fluten des Atlantiks bis in die Wolken aufsteigt, sind kaum zu erahnen – bis man den ersten Fuß setzt und mit dem Aufstieg beginnt. Auf den saftigen Wiesen grasen gutgenährte schwarzbunte Kühe, die keine Glocken und auch keine Ställe kennen. Aus ihrer Milch wird der salzige, hellgelbe Weichkäse gemacht, den wir morgens auf dem Frühstücksbuffet finden.

Die Straße klettert bergan und gewährt eine atemberaubende Aussicht: Das Meer, der Himmel, die Nachbarinsel Pico, der nun endlich die letzte Wolkenhülle fallen lässt. Auch die lang gestreckte Insel São Jorge zeichnet sich schwach am Horizont ab. Von weitem sehe ich den Kegel des Cabeco Gordo mit der rotweisen Antenne auf seinem Gipfel.

 

Inselüberschreitung


Es ist Mittag. Am Himmel und in meinem Bauch. Ich stelle fest, dass der Parkplatz bei der Caldeira auch einfacher, aber nicht so abenteuerlich, zu erreichen gewesen wäre. Nur wenige Autos parken hier. Zwei einsame Wanderer klatschen mir zu. Ob sie wissen, was ich hier treibe?

Neue Stufen aus Holz erleichtern nur bedingt die ersten Meter nach oben. Der Holzpfad wird schmaler, hat jetzt nur noch ein Gerüst aus knorrigen Ästen. Ich gewinne an Höhe, es wird windiger und kühler. Nicht auszudenken, was der gleiche Weg bei schlechtem Wetter bedeuten würde. Das Naturschauspiel, welches sich mir bietet, übertrifft meine Erwartungen bei weitem.



Unendlich beeindruckt blicke ich in den Krater. Wolken wallen über den moosgrünen Kraterrrand, machen die Luft weich und etwas diesig, die Kontraste mild. Die Existenz einer Hölle ist beim Anblick der Hunderte von Metern tiefen Caldera nicht zu leugnen. Vulkanische Kräfte formten diesen Höllenschlund. Das Innere ist sumpfig und mit Moosen übersät. Der einstige Kratersee versickerte durch den Ausbruch des Capelinhos-Vulkans 1957/58 durch Risse im Erdboden.

Seit Stunden freue ich mich auf den kommenden Teil der Strecke. Endlich beginnt die spannende, etwa sieben Kilometer lange Einsturzkrater-Umrundung gegen den Uhrzeigersinn. Reisehandbücher warnen davor, die Umrundung bei schlechtem Wetter zu machen – das haben wir heute definitiv nicht! Auf einem sehr engen Pfad, keine zwei Fuß breit, klatscht rechts das Meer an die Küste, links geht es steil in die Tiefe der Caldeira. Obwohl nur auf einer Höhe von etwa 900 Metern, verschlägt es mir dennoch den Atem. Zwischen Zedern, Wacholder und Farnen, ist dies ein fast unwirkliches Bild von Abgeschiedenheit und Stille.

Noch immer ist die höchste Stelle des Kraterrandes Cabeço Gordo („Fetter Kopf") nicht erreicht. „Gehobener Schwierigkeitsgrad“, heißt es in der Ausschreibung. Das Höhenprofil, das ein wenig nach softem Gummibärchen klang, ist heftig und man benötigt so einiges an Kondition, um nicht auf halber Strecke schlapp zu machen.

 

Prägend


Ich denke an meine Tochter Natascha, die mit ihrem Freund Christian just zur gleichen Zeit  in der Nähe des Polarkreises ihren zweiten Marathon läuft. Das heißt, ich hoffe, dass sie läuft. Wie sie auf diese außergewöhnliche Idee kam? Keine Ahnung, ich weiß auch nicht von wem sie das hat! Ihr Lauf hat nur geringe Höhenmeter, jedoch aufgrund des sozusagen nicht vorhandenen Trainingszustandes weiß ich aber, das sich beide quälen, vielleicht sogar genau in diesem Moment – ich weiß aber auch, sie werden es schaffen, denn irgendwie ist doch alles nur eine Frage des Willens und den haben beide.

Doch zurück in meine Welt. Kaum schau ich auf, hat der Berg Pico sein Wolkenkleid gewechselt. Nun ziert sein schwarzes Antlitz ein Seidenschal aus Schleierwolken. Völlig unspektakulär ist die höchste Stelle erreicht. Mühsam und somit zeitraubend sind die nächsten Kilometer, denn das Abwärtslaufen über die wahllos verteilten Grasbüschelbrocken wird zur Tortur. Ich wüsste zu gerne, wie die Profisportler hier durchbrettern. Bevor ich darüber länger nachdenken kann, muss ich klettern. Die Hände suchen Halt, an Steinen oder in dichten Sträuchern. Ich bin wirklich glücklich, was sag ich, dankbar darüber, dass es auf der Insel keine Schlangen oder andere gefährliche Tiere geben soll.

Durchatmen! Weiterlaufen! Serpentinenartig führt der Weg durch einen unglaublich zartgrünen Wald, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Der rostrote Schotter knarzt unter den Schuhen. Dieses Naturwunder im Kopf noch nicht verarbeitet, bin ich auch schon mitten drin im nächsten Sinnesrausch.

 
 

Informationen: Azores Trail Run
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