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Laufberichte

Ahr la carte: Nur für Genießer!

13.06.15 Ahrathon
 

Unten im Tal liegt der heute als „Römervilla“ bekannte, gegen 259/60 n. Chr. planmäßig geräumte römische Gutshof, der in der Spätantike als Herberge diente. Nach seinem völligen Verfall und der Bedeckung des Geländes mit Schutt und Geröll durch den direkt dahinterliegenden Silberberg entstand an diesem Platz ein frühmittelalterlicher christlicher Friedhof. Die besondere Bedeutung des beim Straßenausbau zufällig entdeckten und für die Öffentlichkeit konservierten Hauptgebäudes liegt in dem hervorragenden Erhaltungszustand vieler seltener Baudetails und Wandmalereien. Das ist wirklich sehenswert.

Links oberhalb im Wald befindet sich der „Regierungsbunker“, an dem wir knapp vorbeilaufen. Dieser war in den Jahren 1960 bis 1972 unter großer Geheimhaltung in einem Anfang des 20. Jahrhunderts gebauten Eisenbahntunnel als Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes im Krisen- und Verteidigungsfall zur Wahrung ihrer Funktionstüchtigkeit errichtet worden. Es ist eine 17,3 Kilometer lange Bunkeranlage, die im Kriegsfall als Ausweichsitz der Bundesregierung dienen sollte. Nach Ende des Kalten Krieges wurde sie aus Kostengründen stillgelegt und die Einrichtung der verzweigten Stollenanlage größtenteils abgebaut. Heute ist von dem teuersten Bauwerk der Bundesrepublik nur noch ein kleines Bunkerstück von 203 Meter Länge erhalten, welches in das Museum Dokumentationsstätte Regierungsbunker umfunktioniert und 2009 zum Europäischen Kulturerbe erklärt wurde.

Der Regen wird immer stärker, schon lange habe ich kein trockenes Zipfelchen (keine blöden Bemerkungen jetzt, bitte!) am Leib. Wie bestellt und nicht abgeholt ragen plötzlich Brückenpfeiler im Adenbachtal zu unserer rechten auf. Es handelt sich dabei um Relikte einer nie fertiggestellten Bahnlinie, deren Anfänge zurück bis in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg reichen. Der deutsche Generalstab hatte im Jahre 1910 im sogenannten "Schlieffenplan" bei einer eventuellen kriegerischen Auseinandersetzung mit Frankreich die Eifel als militärisches Aufmarschgebiet mit einbezogen und eine direkte Bahnverbindung vom Niederrhein und dem Ruhrgebiet unter Umgehung der Knotenpunkte Neuß/Düsseldorf und Köln zum Saargebiet und nach Lothringen geplant. Heute sind die Pfeiler als Kletterpark genutzt, wie wir später an den zahlreich daran angebrachten künstlichen Griffen erkennen können.

An der Winzerkapelle (VP 3 bei km 9,3) werden wir vom Weingut Josten & Klein sowie dem Ringhotel Giffels Goldener Anker nicht nur kulinarisch, sondern auch wieder musikalisch von einem Gitarrenduo auf das Feinste versorgt. Ich sage nur: Nicht nur in vino, auch in musica veritas (im Wein/der Musik liegt die Wahrheit)! Im strömenden Regen quatscht mich einer an, den ich durch meine feuchte Brille zuerst an der Stimme erkenne: Unseren schreibenden, derzeit aber nicht laufenden Kollegen Joachim „Sesam“ Ewen, der u.a. den ersten Bericht über den Ahrathon geliefert hatte. Mit was könnte man das unverhoffte Wiedersehen besser feiern als mit dem, was reichlich vorhanden ist? Gott sei Dank hat der Junge eine volle Flasche in der Hand.

Mittlerweile schüttet es wie aus Kübeln. Glücklicherweise bin ich jemand, der Unabänderliches gut akzeptieren und dem immer noch etwas Gutes abgewinnen kann: Das Nass ist wenigstens warm, wir frieren nicht. Und es ist bestimmt lustiger zu laufen, als wie Torsten Holler, der Chef von eventfotografie24.de, im Regen unter einem Riesenschirm zu sitzen und seiner Arbeit nachgehen zu müssen.

Zwei Streckenposten machen es vernünftig und sind in den Kofferraum ihres Autos geflüchtet, können aber den laufenden Reporter unverändert gut gelaunt durch die geöffnete Heckscheibe angrinsen. Den 11. km befinden wir uns auf dem Maubischpass in Richtung Lantershofen. Überregional ist dieser Ort für seine Kuchenspezialität, den Maubisch, bekannt. In früheren, obstlosen Jahreszeiten diente Maubisch mit seinem Aufstrich aus getrockneten Birnen der gesunden, ausgewogenen Ernährung der Bevölkerung. Diesen serviert man uns an VP 4 bei km 12,2 leider nicht, aber das Weingut Peter Lingen und der Royal Partyservice zeigen sich von ihrer besten Seite. „Leber an Großhirn: Wo bleibt der Alkohol?“ Sie wird nicht enttäuscht.

Sehr anstrengend ist ein steil talwärts in Richtung Ahrweiler abfallendes Stück auf dem 15. km. Gottlob läßt der Regen nach, am Himmel zeigt sich in einigen Wolkenlücken schüchtern das erste Blau des Tages. Unten angekommen, halten wir uns ein kurzes Stück parallel der Bundesstraße, bevor wir in die Ahrweiler Altstadt abbiegen dürfen. Die hat wirklich etwas für sich, mit Genuß erinnere ich mich an den schönen Staffelmarathon, den wir mit einer Mannschaft des VfL Waldbreitbach hier 2009 auf einer guten 1 km-Runde gelaufen sind.

In der Stadt beglücken uns an VP 5 bei km 16,7 das Weingut Kurth und das Hotel “Am weißen Turm”. Wieder lassen wir es uns richtig gutgehen und verweilen ein paar Minuten schwätzchenhaltend. Hektik ist heute ein Fremdwort. Gut, nicht für absolut alle, aber wer das hier als Wettkampf läuft, hat m.E. etwas mißverstanden. Wie das in einer engen Altstadt so ist, haben wir ein paar scharfe Kurven zu nehmen, die im gemütlichen Marathontempo aber ganz anders ausfallen als bei meinen damaligen 1.067 m-Einsätzen. Durch das wunderschöne Tor der zu großen Teilen erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer verlassen wir das beschauliche Städtchen und kommen wieder ans Ufer der Ahr, das wir die nächsten etwa drei km flussabwärts in Richtung Rhein begleiten werden.

Nachdem wir die Ahr erneut überquert haben und bevor es in den Bad Neuenahrer Kurpark geht, steht bei km 20,5 schon der sechste VP 6, nämlich der des Steigenberger Kurhotels. Wieder gibt es das volle Programm, ganz lecker sind die kleinen Croissants, die man uns wahrlich nicht aufdrängen muß. Nach dem Kurpark sind wir schon wieder an Start und Ziel, wo uns der Streckensprecher mit netten Worten und unter Hinweis auf meinen StaffelMarathon am 3. Oktober auf die zweite Runde schickt. „Hey, Wolfgang!“ Ich freue mich, von Oliver Witzke, den Mitorganisatoren des Rheinsteig-Extremlaufs, an der Halbmarathonmarke angefeuert zu werden. Olli belebt übrigens auch in Hattingen den eingeschlafenen Eisenbahnlauf wieder: Am 03.04.2016 heißt es über 21,1 km wieder „Wo einst die Dampflok schnaufte“.

Das ist das Angenehme für den laufenden Reporter bei einem Zwei-Runden-Kurs: Ist die erste Hälfte beschrieben, hat man schon fast fertig. Wie schön ist das erst bei einem Einundzwanzig-Runden-Kurs, wie bei unserem StaffelMarathon in Waldbreitbach am 3. Oktober! Im Ernst, der ist auch Einzelläufern offen und bietet für schlappe 10 € (bei Anmeldung und Bezahlung bis zum 31.07.) das volle Programm inkl. eines individuell getöpferten Bechers. Der läßt sich auch mit Ahrwein prima füllen, aber dafür fühlen wir uns leider nicht zuständig.

Kaum bin ich die ersten Meter auf der zweiten Runde, stoppt mich VP 7 bei km 21,1: Das Weingut Sonnenberg und das Dorint Parkhotel Bad Neuenahr füllen die auf den letzten 600 Metern verbrauchten Kohlenhydrate wieder randvoll auf. Mannomann! Um es mal ganz deutlich zu sagen: Eine ganze Flasche Rebensaft habe ich bis jetzt intus, wenn ich so weitermachte – Gute Nacht, Marie!

Nach der Ahr-Überquerung kommen mir etliche Teilnehmer der Kostümwertung entgegen, eine Verkleidung ist netter anzusehen als die andere. „Salve Romani!“ rufe ich den drei schmucken Römern zu, die mit sichtlich Spaß an der Sache dabei sind. Die zweite Runde wird dann deutlich ruhiger, aber keinesfalls einsam, denn ich bin nicht der einzige, der im vergleichsweisen Schneckentempo unterwegs ist. An den Verpflegungsstellen, wo ich mich jetzt ganz tapfer beherrsche (schließlich habe ich die Absicht, mit dem Auto wieder heimzufahren), trifft man sich spätestens erneut.

Jetzt, wo die Aussichten wieder besser geworden sind, kann man über Bad Neuenahr im Hintergrund auch gut die hohe Autobahnbrücke der A 61 erkennen. Robert André Gagnon aus Kanada schwärmt mir einen vor, wie schön es hier sei. Leider habe ich ihn fälschlicherweise als Franzosen verortet und daher nicht gefragt, was einen Kanadier so an die Ahr treibt. „Du läufst gleich auf ein paar Mädels auf, da ist die Burgundia dabei!“ sagt mir Sesam, als ich ihn zum zweiten Mal treffe. Nun, die war es nicht, dafür aber zwei Königinnen, nämlich die örtliche und die Gebietsweinkönigin, die mich packen und zu einem gemeinsamen Foto zwingen. Gut, vielleicht war es auch umgekehrt.

Und so genieße ich meine zweite, diesmal alkfreie Runde, freue mich über den einsetzenden Sonnenschein, über die musikalischen Darbietungen und vielen schönen Kostüme und die überall reichlich vorhandene gute Laune. Zurück in Ahrweiler stoße ich auf den Aachener Helmut Hardy, der, deutlich beschwingt, mit Thorsten Groetker unterwegs ist. Der hat noch keinen Marathon über vier Stunden beendet, heute lohnt es sich für ihn besonders, denn da wird am Ende die 5 vorne stehen. Ach, man gönnt sich ja doch nichts und so stoßen wir an VP 5 auf unser Wiedersehen an. So viel zur alkfreien zweiten Runde. In einem unnachahmlichen taktischen Schachzug nutze ich am letzten VP deren momentane Unpäßlichkeit zu einem überraschenden Antritt sowie fulminanten Schlußspurt, dem sie nichts entgegenzusetzen haben und ziehe beide noch brutal ab.

Endlich habe ich also auch eine Medaille vom Ahrathon, die einen schönen Platz an meiner wall of fame erhalten wird. Die liebe Sonne bescheint das schöne Abschlußfest, als sei nichts gewesen. Was soll’s, besser so als anders herum. Roland Riedel und Sigrid Hoffmann, die beiden begnadeten Ultraläufer, sind auch eben erst eingetroffen. Roland aus persönlichen Gründen, die ich auf der Strecke immer wieder beobachten konnte, seine Frau Sigrid aus Fürsorgegründen für den frisch angetrauten Gatten. Abends bietet man noch das Abschlussfestival „Rock & Wein“ mit u.a. fünf Stunden Live-Mucke. Für Programm ist also den ganzen Tag gesorgt.

Ganz im Vertrauen: Lange, profilierte Läufe werden doch nicht überbewertet. Trotz ordentlichen Auslaufens am Folgetag gehe ich am übernächsten Tag deutlich unrund, vor allem 4 Stockwerke treppab sind eine Qual für den fanatischen Aufzugsverweigerer. Der Leber geht’s besser. Ich freue mich schon auf den abendlichen Laufkurs… Wat mutt, dat mutt! Bis zum nächsten Mal bei Wein, Weib und Gesang!

Streckenbeschreibung:
Sehr schöner Zwei-Runden-Kurs über 21,1 km mit jeweils 312 Höhenmetern entlang der unteren Ahr (Asphalt) und durch die Weinberge (Wirtschafts- und Waldwege).

Startgebühr:
Je nach Anmeldezeitraum 40 bis 55 € (bei Nachmeldung).

Weitere Veranstaltungen:
Halbmarathon, HM-Staffel, Zehner, Fünfer, Schülerläufe, Walking – also das ganze Programm.

Auszeichnung:
Medaille, Urkunde übers Netz.

Logistik:
Perfekt und qualitativ gut bei kürzesten Entfernungen.

Verpflegung:
7 Verpflegungspunkte mit vielerlei Köstlichkeiten. Viel zu schade zum schnellen Weiter- oder gar Vorbeilaufen!

Zuschauer:
Im Start-/Zielbereich viele, unterwegs überschaubar.

 

 

 

 

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Informationen: Ahrathon
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