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Laufberichte

Der Muh-Marathon von Welver

03.10.08

3. Oktober 2008. Heute findet in Welver der „5 am Tag“- Familienmarathon statt. „5 am Tag“ … das heißt nicht 5 mal am Tag laufen oder was man noch so denken könnte. Nein. Es geht um Gemüse. 5 Portionen Obst und Gemüse sollen es sein, damit der Mensch und auch der Läufer gesund bleiben. Diese Kampagne ist der Hauptsponsor für den Welver-Marathon.

„Familien-Marathon“ bedeutet nicht, dass man mit Mann und Maus antreten muss, aber kann. Es gibt vier Streckenlängen über 10 km, 21,1 km, 30 km und natürlich 42,195 km. Mit allem, was keinen Motor hat, darf man auf die Strecke: Per Rad, per Inliner und zu Fuß. Walkend mit und ohne Stöcken und natürlich laufend. Die Starts verteilen sich über den ganzen Vormittag und so ist im Start- und Zielbereich immer etwas los. Außerdem ist diese schöne Veranstaltung inzwischen für Welver ein Tag geworden, an dem sich jeder Betrieb und fast jeder Verein in irgendeiner Form darstellt. Es gibt eine große Eventfläche vor der Bördehalle, auf der es vom Bungee-Trampolinspringen bis zur Bratwurst und natürlich zum Gemüseteller alles zu sehen gibt, was Welver zu bieten hat. Immer mehr Teilnehmer kommen aus Nah und Fern, um an diesem schönen Landschaftslauf teilzunehmen. Ich habe ihn direkt vor der Haustür. Und in diesem Jahr laufe ich zum ersten Mal seit dreieinhalb Jahren wieder die volle Distanz, den Marathon.

Mein Training war nicht so anspruchsvoll wie früher. Ich bin in der Regel nur dreimal pro Woche gelaufen, davon einmal einen Long-Jog, in den letzten Wochen immer über 30 km. Wer sich schon mal ambitioniert auf einen Marathon vorbereitet hat, wird über mein Training schmunzeln. Aber die wichtige Einheit – der Long-Jog – war in jeder Woche vorhanden. Und ich wollte nicht mehr Zeit für das Training investieren.

Wenn ich meine beiden Ultras mitzähle, ist das mein 14. Marathon. Da sollte so etwas wie Routine aufkommen. Eigentlich. Aber die dreieinhalb Jahre Marathonpause bewirken, dass ich am Vorabend total aufgedreht bin, nicht einschlafen kann und am Marathonmorgen viel zu früh aufwache und meinem Stern mit meiner ununterbrochenen Quasselei gehörig auf den Nerv gehe. Aber nur so kann ich meine Aufgeregtheit in den Griff bekommen. Ich rede sie mir einfach raus.

Nach geschätzten 14 Toilettengängen und einem kleinen süßen Frühstück mit Rübenkraut- und Nutellabroten gehen mein Stern und ich zu Fuß zum Start. Hier verbringen wir noch ein Stündchen mit der nötigen Marathonvorbereitung. Dazu gehören noch mal 14 Toilettengänge (fürs Gewissen) und das Begrüßen bekannter Laufkollegen. Es wird gefachsimpelt und ich erzähle überall, dass ich ohne Zeitambitionen nur gesund die Strecke schaffen will. Aber jeder Marathonläufer wird es kennen. So insgeheim hat man doch noch einen Zeitwunsch. Einen, den man nur für sich behält. Einen, den man schaffen kann, wenn alles perfekt läuft. Einen, den man als Überraschung aus dem Hut zaubert. Einen, mit dem man alle anderen verblüfft. Bei mir ist das heute das Unterbieten des neuen Weltrekords von Haile Gebrselassie. Der muss doch zu knacken sein.   

Jetzt geht's los   Am letzten Sonntag ist er in 2:03:59 h in Berlin ins Ziel gelaufen und hat seinen eigenen Weltrekord um 27 Sekunden unterboten. Was wird der Veranstalter vom Welver-Marathon wohl sagen, wenn ich ihn hier heute knacke. Welver wird weltweit berühmt. Und ich auch. Fernsehauftritte, Millionen von Werbeeinnahmen … Ach ja. Das wird schön.

Am Start werden noch viele Fotos geschossen. Und dann einmal die Pistole. Es geht los. Nach langer Marathonpause wird mir nun erst richtig klar, dass ich mich jetzt wieder auf der langen Königsdisziplin befinde. Mit allem, was dazu gehört. Mit schmerzenden Beinen und ordentlicher Quälerei am Ende. Mit Jammern und sich selbst Verdammen. Eben mit Marathonfeeling.

Nach 100 Metern stelle ich fest, dass ich mich im hinteren Drittel des Läuferfeldes befinde und dass das heute mit dem neuen Weltrekord wohl nichts mehr wird. Also hake ich das Geheimziel schon mal ab. Dann kann ich es ja auf den letzten 42.095 Metern locker angehen. Und das mache ich nun auch. Ich suche mein Tempo, bin wie üblich beim ersten Kilometerschild viel zu schnell, bremse ab und trabe nun locker durch die Soester Börde. Es geht durch fast alle Ortschaften, die zur Gemeinde Welver gehören. Dazwischen liegen immer lange Stücke mit wunderschöner Landschaft, allerdings ohne Zuschauer. Wer hier läuft, weiß das aber vorher.

Nach knapp 2 Kilometern die erste Überraschung. Wir kommen um eine Straßenecke und entdecken direkt vor uns eine Kuhherde, die gerade die Straße überquert. Der Bauer, der dabei steht, bekommt leichte Panik in den Augen und versucht seine Kühe anzutreiben. Zwei lassen sich von uns anstecken und gehen mit uns auf die Marathonstrecke. Leider habe ich sie im Ziel nicht wieder gesehen und weiß nicht, welche Zeit sie geholt haben. Aber im Ernst. Wir laufen mitten durch die Kühe hindurch. In eiliger Hetze treibt der Bauer sie weiter auf die Weide und zwei laufen wirklich mit uns die Straße entlang. Ob sie wieder zurück gefunden haben, weiß ich nicht genau. Aber der Bauer wird sie schon wieder eingefangen haben.

Alle 4 bis 5 Kilometer gibt es Verpflegungsstände mit Wasser, Cola, Iso, Bananen, Schmalzbroten, Energieriegeln und Bratwürsten, was ich erst nicht wirklich verstehen kann. Welcher Marathonläufer schiebt sich denn mal ganz gerne bei Kilometer 30 eine Bratwurst rein? Häh? Aber dann fällt mir ein, dass das ja eine Familienveranstaltung ist. Nach uns kommen noch ohne Ende Radler und Wanderer. Die gönnen sich zum Mittag gerne mal ein Würstchen. Alle Verpflegungsstände werden von Freiwilligen der umliegenden Orte betreut. Danke an alle, die uns unterstützt und sehr gut versorgt haben.  

Es geht weiter. Ich laufe mich langsam auf ein Tempo ein, mit dem ich ziemlich genau nach knapp 4 Stunden ins Ziel kommen könnte. Dabei fühle ich mich sehr wohl und trabe so vor mich hin. Das Marathonstarterfeld von gut 50 Teilnehmern ist inzwischen so weit auseinander gezogen, dass man vor und hinter sich nur in der Entfernung andere Läufer wahrnimmt. Auf den kürzeren Distanzen ist viel mehr los. Hier sind die Startfelder natürlich viel stärker besetzt. Auf der Marathonstrecke ist man viel mit sich alleine und geht seinen Gedanken nach. Willkommene Unterbrechungen sind dann immer die fröhlichen Menschen an den Verpflegungsstellen, die uns mit viel Applaus und Gejohle begrüßen.

Ich trabe so Stunde um Stunde vor mich hin. Da ich den kompletten Überblick verloren habe, wo ich mich im Starterfeld befinde, mache ich mir langsam Gedanken, ob ich nicht eventuell Letzter bin. Hinter mir ist niemand mehr zu sehen. Weit vor mir ein Roter, also ein Läufer mit rotem T-Shirt. Langsam arbeite ich mich an den Roten ran und nach ein oder zwei Kilometern überhole ich ihn. Also Letzter bin ich nun nicht mehr. Irgendwo vor mir entdecke ich einen Gelbgrünen. Auch ihn kassiere ich nach einiger Zeit ein. Der Nächste, ein Violetter. Auch geschnappt. Das wäre doch gelacht. 

Auf einer Landstraße laufe ich - wie es sich gehört – auf der linken Straßenseite. Vor mir auf der rechten Seite marschiert ein Walker, der eineinviertel Stunden vor uns gestartet ist. Er ist noch ungefähr 20 Meter vor mir und von vorne kommt ein Traktor mit großem Anhänger. Hinter uns brummt ein weiterer Motor. Als ich mich umdrehe, sehe ich einen weiteren Traktor, der sich uns von hinten nähert. Wir werden alle ungefähr gleichzeitig aufeinander treffen. Das kann nicht passen. Der vordere Traktor bremst, der Walker walkt weiter, ich laufe weiter. Schließlich sind wir hier in einem Wettkampf. Der hintere Traktorfahrer lässt seinen Motor aufheulen, hupt, gibt Gas, bremst wieder ab, hupt wieder. Meine Güte. Ist das hier die Startaufstellung bei einem Formel1-Rennen? Ich drehe mich um und sehe den Fahrer, einen typischen gelassenen, nicht aus der Ruhe zu bringenden, ostwestfälischen Bauern, der wie bekloppt in seinem Führerhaus mit den Armen herumfuchtelt. Er schreit irgendetwas, was der Walker und ich nicht hören können. Die beiden Traktoren sind viel zu laut. Ich wechsle die Straßenseite und lasse den vorderen Trecker durch. Der hinter uns fahrende überholt uns schließlich mit Vollgas. Die riesigen Räder rollen nur knapp neben uns her und der Fahrer schimpft immer noch wie verrückt. Manche hier in der Gemeinde Welver scheinen noch nicht vom heute stattfindenden Marathon gehört zu haben.

Nach 500 Metern kommt der Traktor, der inzwischen gedreht hat, direkt auf mich zu. Der Walker ist schon weit hinter mir. Der Trecker stellt sich mit seinem Anhänger quer auf die Straße und kippt jetzt hier Mais ab. Genau hier und unbedingt genau jetzt. Der Fahrer schimpft immer noch, obwohl er von vorne doch jetzt meine Startnummer hätte sehen müssen. Er ist auf 180 und ich muss nun die Straße verlassen und ein paar Meter über ein Feld ausweichen, um an dem Trecker vorbeizukommen. Soll er doch weiter herum schreien. Das Palaver können sich die anderen noch hinter mir kommenden Läufer anhören. Ich laufe weiter.

Jetzt kommen einige Kilometer mit starkem Gegenwind. Da auch die Sonne für eine halbe Stunde hinter Wolken verschwindet, wird es mir nun ganz schön kalt. Ich beginne, etwas zu frieren. Leider werden nun auch meine Beine etwas steif. Die Klumpen in den Oberschenkeln spüre ich inzwischen auch ganz gut. Ich bin jenseits der 30 Kilometer und immer noch in einem unter 4 Stunden-Tempo. Gewesen. Jetzt werde ich schlagartig langsamer und nach kurzer Zeit hake ich auch dieses Zeitziel ab. Jetzt ist es mir egal, wann ich ankomme. Nichts anderes habe ich vorher erzählt, also brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben. Das gefällt mir jetzt auch eigentlich viel besser. Ich laufe entspannt weiter und werde nach ein paar Kilometern von dem Gelbgrünen wieder eingeholt. Wir wechseln ein paar Worte und dann läuft er vor mir her. Ich habe ganz kurz das Bedürfnis, mich an ihn dranzuhängen. Meine Beine sagen mir aber sofort, dass das Quatsch ist. Sie wollen nur noch locker weiter laufen. Mehr nicht.

Es geht langsam an die letzten Kilometer. Leider müssen wir hier noch einige Schleifen laufen, um auf die 42.195 Meter zu kommen. Man kann die Lautsprecherstimme hören und ich bin erst noch bei km 39. Ich muss mich schon gehörig selbst motivieren, um nicht geradeaus auf direktem Weg zum Ziel zu laufen sondern auf der Strecke zu bleiben. Doch auch die letzten Schleifen im Welveraner Buchenwald sind irgendwann geschafft.

Das Ziel ist in Sicht. Ich fühle mich super. Mein Puls steigt an. Meine Beine spielen noch mit. Ein Kloß im Hals. Ich reiße beide Arme hoch. Mein Stern winkt mir mit einem gelben Handtuch zu. Ein Fotograf blitzt mich an. Da ist die Medaille. Geschafft!

Das habe ich seit dreieinhalb Jahren nicht mehr erlebt. Das ist Marathonfeeling. Genau das. Ich bin angekommen. In 4:13 h. Der Hammermann war nicht da. Und später stelle ich fest, dass ich von weit über 50 Marathonteilnehmern immerhin 26. geworden bin. Ich schwebe auf einer Wolke …

Auch hier im Zielbereich ist alles klasse organisiert. Ein Zelt mit Verpflegung. Alle mögliche Getränke, Käse- und Wurstbrote. Massagemöglichkeiten. Alles da, was das Läuferherz begehrt.   

Nach einer Stunde werden alle Marathonteilnehmer auf die Bühne zur Urkundenübergabe gebeten. Ich wuchte mich auf die nur einen Meter hohe Bühne und humple zu Peter Riechert und Helmut Klauke, den beiden hauptverantwortlichen Organisatoren. Danke schön, Jungs. Danke für einen wunderschönen Tag. Danke für meinen 14. Marathon. Er fühlt sich ähnlich an wie der Erste.

 

 

Informationen: 5 am Tag Familien Marathon
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